6. Mai 2022 •
Es war eine Überraschung, mit der kaum jemand gerechnet hatte – sie selbst wohl am aller wenigsten: 2021 gewinnt Ewe Benbenek als Mülheim-Debütantin mit ihrem Erstlingswerk „Tragödienbastard“ den Mülheimer Dramatikpreis. Ein Jahr ist vergangen und die nächste Festivalausgabe steht in den Startlöchern. Wie geht es der amtierenden Stücke-Preisträgerin heute? Woran arbeitet sie zurzeit? Und mit welchem Blick schaut sie auf die diesjährige Auswahl? Unser Autor Marvin Wittiber hat mit ihr über den Alltag als Autorin, ihre neuen Texte, ihre Vorbilder und das Schreiben für ein junges Theaterpublikum gesprochen.
Blog: Morgen beginnen die 47. Mülheimer Theatertage. Du bist im vergangenen Jahr mit dem begehrten Mülheimer Dramatikpreis ausgezeichnet worden. Kannst du dich noch an den Moment erinnern, als die Jury dich zur Gewinnerin gekürt hat?
Ewe Benbenek: Ich muss gestehen, ich habe die Jurydebatte erst nachträglich gesehen. Den ganzen Tag über hatte ich mein Handy ausgeschaltet – für den Fall, dass Leute die Inszenierung oder die Jurydebatte online sehen und mir dann schreiben. Die Vorstellung, dass jetzt öffentlich wichtige Theaterexpert*innen mein erstes Stück besprechen und bewerten, hat emotional etwas mit mir gemacht. Damit steht und fällt ja auch so einiges. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem ich selbst noch total unsicher mit meinem Autorinnensein war, „Tragödienbastard“ war schließlich mein erstes Theaterstück. Es hätte ja auch sein können, dass sie es völlig zerreißen. Ich musste mich da einfach rausziehen. Am späten Abend erhielt ich dann einen Anruf von der Festivalleiterin Stephanie Steinberg. Ich war einfach nur sprachlos. Das war wirklich ein Schockmoment. Stephanie musste Atemübungen mit mir machen. Ich konnte das alles erstmal gar nicht glauben (lacht).
Blog: Was ging in den Tagen danach in dir vor, als du das langsam verarbeiten konntest?
Ewe Benbenek: Ich habe mich zuerst einmal wahnsinnig darüber gefreut, dass mein erstes Stück gleich so einen Erfolg hatte. Ich stand und stehe noch ganz am Anfang als Dramatikerin und muss das Laufen quasi erst noch erlernen. Das mag ich total gerne und ich will mir diese Leichtigkeit auch beibehalten. Was Mülheim gemacht hat, ist, dass ich finanziell erstmal unabhängig sein konnte. Das ist für eine, die als Autorin gerade beginnt, strukturell unglaublich wichtig und ein großes Privileg. Ohne das Preisgeld und die weiteren Förderungen, die ich im Anschluss bekommen habe, hätte ich nicht die Zeit und den Raum gehabt, mich dem Schreiben so zu widmen, wie es jetzt gekommen ist: dass ich mir und meiner Arbeit jetzt zugestehen kann, dass es diese Langfristigkeit gibt, dass sich Texte auch entwickeln dürfen und ich nicht mehr unter Druck arbeiten will und muss. Das ist mir wirklich wichtig. Und mit dieser Einstellung versuche ich jetzt auch zu leben und zu schreiben. Aber diese Umstellung in kürzester Zeit war eine ganz schöne Herausforderung.
Blog: Gibt es jetzt nach dem Gewinn eine bestimmte Erwartungshaltung, mit der du dich konfrontiert siehst?
Ewe Benbenek: Das ist schwierig einzuschätzen und nicht so leicht konkret zu benennen. Aber ja, sicher gibt es Erwartungen an dich, wenn du in Mülheim gewonnen hast. Vor allem natürlich die Frage, was du als nächstes schreiben wirst. So ganz freimachen kannst du dich davon sicher nicht. Erst jetzt bei den Gesprächen zu meinem zweiten Stück, bekomme ich ein Gefühl dafür, wie der Markt so funktioniert. Es gibt Erwartungen und vielleicht auch Vorbehalte, das zweite Stück der Mülheim-Gewinnerin auf die Bühne zu bringen. Weil es wahrscheinlich nicht nochmal diesen Erfolg haben wird. Ich meine, das wäre ja völlig absurd, mit seinem zweiten Stück dort direkt nochmal zu gewinnen. Davon gehe ich gar nicht erst aus (lacht). Daher habe ich vollstes Verständnis für diese Vorsicht.
Blog: Woran arbeitest du zurzeit?
Ewe Benbenek: Mein zweites Stück, „Juices“, ist schon fertig. Darin geht es um Flüssigkeiten: Schaumbad, Bier, Tränen, Angstschweiß, Putzmittel. Im Hintergrund steht die Frage von prekärer Arbeit. Da habe ich mich ausgiebig mit der Zeit der sogenannten Gastarbeiter*innen und prekären Arbeitsverhältnissen seit den 70er-Jahren beschäftigt. Gerade schreibe ich an meinem dritten Stück, „San“. Das Stück wandelt einen polnischen Satz ab und will diesen Satz entschlüsseln und fragt sich, ob dieser Satz falsch oder wahr ist. Und es ist tatsächlich so, dass dieser Satz auf einer Ebene falsch ist: Die geografische Angabe stimmt nicht. Es wird ganz viel gelaufen, große und kleine Wege auf der Suche nach der Entschlüsselung dieses Satzes. „Juices“ trägt noch sehr den formalen Ton aus dem „Tragödienbastard“, „San“ ist da ganz anders. Auch in puncto Tempo und Rhythmus unterscheidet es sich essenziell: Ich würde nicht unbedingt sagen, dass es langsamer ist, aber es ist viel reduzierter – und hat einen anderen Ton und Rhythmus. Irgendwas scheint sich in meinem Schreiben zwischen diesen beiden Stücken verändert zu haben.
Blog: Inhalt und Form der diesjährigen Stücke lassen sich auch wieder schwer einem Vergleich unterziehen. Was sind deine Gedanken zu den diesjährigen Nominierungen? Nicht unbeachtet soll auch die Tatsache bleiben, dass sechs der sieben nominierten Dramatiker*innen in diesem Jahr Frauen sind.
Ewe Benbenek: Ich bin positiv überrascht von den Nominierungen. Klar, es sind auch ein paar dabei, die schon länger im Business sind, aber eben auch junge Dramatikerinnen, die teils noch am Anfang ihrer Dreißiger stehen. Ich frage mich, ob das nicht auch Teil eines Wandels sein könnte, der sich in Gang gesetzt hat, nachdem ich letztes Jahr gewonnen habe.
Blog: Kennst du jemanden von ihnen persönlich?
Ewe Benbenek: Ja, Teresa Dopler, die mit ihrem Stück „Monte Rosa“ nominiert ist. Wir kennen uns durch das Arbeitsatelier von uniT. Dort sind die Strukturen so kollegial, man könnte fast schon familiär sagen, dass man eigentlich ständig in einem direkten Austausch miteinander steht. Gerade, wenn man hört, dass jemand aus der Runde zu einem Festival eingeladen oder für einen Preis nominiert ist. Dann vernetzt man sich durchaus und spricht über seine Erfahrungen. Das ist ungemein wichtig.
Blog: Gibt es denn Dramatiker*innen, die du selbst bewunderst oder zu denen du aufschaust?
Ewe Benbenek: Ich muss schon sagen, dass ich Sivan Ben Yishai wahnsinnig toll finde. Sie ist für mich tatsächlich so eine Shero. Ich finde ihre Werke wahnsinnig abgefahren. Vor ihr, ihrer Sprache und was sie tut, habe ich größten Respekt. Sie hat auf jeden Fall einen Vorbildcharakter für mich.
Blog: Mit welcher Aufmerksamkeit oder mit welchem Gefühl schaust du in diesem Jahr auf Mülheim?
Ewe Benbenek: Um ehrlich zu sein, habe ich mich noch nicht tiefergehend mit der diesjährigen Auswahl beschäftigt. Natürlich weiß ich, wer mit welchem Text nominiert ist, aber mehr noch nicht. Vielleicht auch aus Angst, ich weiß es nicht so genau. Nichtsdestotrotz werde ich das Festival natürlich verfolgen, neugierig sein und beobachten, was da wie besprochen wird. Und ich werde selbst bei der Eröffnung morgen mit dabei sein und mir danach Nora Abdel-Maksouds „Jeeps“ anschauen. Da freue ich mich total drauf. Auch eine Autorin, die ich super spannend finde. Ich bin sehr gespannt, wer in diesem Jahr den Dramatikpreis gewinnen wird. Was ist mit dir?
Blog: Meine Aufmerksamkeit richtet sich in diesem Jahr besonders auf die KinderStücke. Ein thematischer Schwerpunkt liegt dort auf Gender und Identity. Gerade im Kontext des ungarischen Gesetzes gegen eine „Frühsexualisierung“ der Kinder außerordentlich politisch: Dass in ungarischen Schulen nicht einmal mehr über die Vielfalt von Begehren und Identität gesprochen werden darf.
Ewe Benbenek: Ich finde es ohnehin total wichtig, dass es den Mülheimer KinderStückePreis gibt. Machen wir uns nichts vor: Das ist ein politisches Feld. Theaterstücke für Kinder sind so etwas wie das Puppentheater im ehemaligen Osten: Das wurde auch stets belächelt und man hat gar nicht wirklich daraufgeschaut. Ich habe das Gefühl, dass sich das aber in puncto Theater für Kinder in den letzten Jahren durchaus geändert hat. Darin steckt wahnsinnig viel Entwicklungspotenzial und darüber muss weiterhin mehr gesprochen werden. Wirklich toll, dass Mülheim das so unterstützt.
Blog: Wäre das auch etwas, was du dir vorstellen könntest? Theaterstücke für Kinder zu schreiben?
Ewe Benbenek: Tatsächlich habe ich schon mal drüber nachgedacht, ja. Mein eigenes Schreiben steckt ja auch noch in den Kinderschuhen. Und der „Tragödienbastard“ hat mich auch nochmal dazu gebracht, mich mehr mit meiner eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das hat mir ein noch stärkeres Bewusstsein dafür gegeben, was es heißt, Kind zu sein und Erlebnisse erst viel später verarbeiten zu können. Und ich glaube, dass man Kindern auch durchaus viel zutrauen kann. Aber ich sehe es jetzt noch nicht so auf mich zu kommen. Ich weiß ja nicht einmal, ob ich das überhaupt könnte. Theaterstücke für Kinder zu schreiben, ist eine Kunst für sich. Davor habe ich großen Respekt. Man wird sehen, was die Zukunft bringt.
Blog: Gibt es einen Wunsch, den du dir im Laufe deiner Autorinnenkarriere erfüllen möchtest?
Ewe Benbenek: Ich habe durchaus kleine und größere Träume. Ein kleiner ist, dass mein nächstes Stück zur Uraufführung kommt und gespielt wird. Dass es passieren wird, steht außer Frage, aber es ist noch nicht klar wann. Da begleitet mich noch so eine gewisse Grundnervosität. Dann gibt es natürlich auch bestimmte Theater, für die ich mich interessiere und wo ich mir Inszenierungen meiner Stücke wünschen würde. Aber ich habe auch das Gefühl, dass Dramatiker*innen, vor allem junge Frauen, zu oft noch immer nur auf kleinere Bühnen gestellt werden. Ich finde, es sollte nicht so sein, dass die Gegenwartsdramatik, insbesondere die von jungen Autorinnen, per se auf die kleinen Bühnen gehört. Dafür muss es auch mal die große Bühne geben. Und ja, ich würde auch gerne irgendwann mal einen meiner Texte auf einer großen Bühne sehen. Und wenn nicht von mir, dann von einer anderen Dramatikerin. Das ist mir ein wichtiges Anliegen, für mich und meine Kolleginnen.
Ewe Benbenek studierte Kultur- und Politikwissenschaften an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und am University College London, sowie Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt und war von 2014 bis 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Neuere deutsche Literatur/Theaterforschung an der Universität Hamburg. 2019 wurde sie für den Retzhofer Dramapreis nominiert. Ihr Theatertext „Tragödienbastard“ wurde im Rahmen des Arbeitsateliers von uniT und dem Schauspielhaus Wien gefördert und am 30. Oktober am Schauspielhause Wien uraufgeführt. 2021 gewann sie für „Tragödienbastard“ den Mühlheimer Dramatikpreis und wurde im selben Jahr in der Kritikerumfrage von Theater heute zur Nachwuchsautorin des Jahres gewählt.