3. Juni 2017 •
Die Situation in den deutschen Stadt- und Staatstheatern ist alles andere als ein feministisches Paradies. Ja, bei den diesjährigen „Stücken“ ist die Besetzung des Teams und der Jurys im Bezug auf die Frauenquote erfreulich, aber gewonnen hat in 41 Jahren erst dreimal eine andere Frau als Elfriede Jelinek. So sinnvoll es ist, sich bei der feministischen Analyse auf Quoten zu stützen, so viel gibt es darüber hinaus zu untersuchen.
Feminismus und Queer-Theorie
Bei feministischen Forderungen und Praxen geht es nicht nur um die geschlechtergerechte Verteilung der Jobs. Feministische Auseinandersetzungen können gut dafür genutzt werden, herkömmliche und manchmal gar nicht so leicht erkennbare soziale und symbolische Ordnungen in unserer Gesellschaft zu hinterfragen und zu unterlaufen. Solche Ordnungen können die Rolle der Frau betreffen, müssen sie aber nicht unbedingt. Die Queer-Theorie setzt da ganz grundsätzlich an und besagt, dass geschlechtliche und sexuelle Identität gesellschaftlich gemacht sind. Soziale Erwartungen, biologische Zuschreibungen und kulturelle Praktiken machen mich zu dem, was allgemein als Frau verstanden wird. Ganz konkret heißt das für mich, dass ich mit Feminismus und Queer-Theorie im Hinterkopf fragen kann, wo z. B. die gesellschaftliche Erwartung, dass ich ein Kind bekommen soll, aufhört, und mein eigener Wunsch anfängt. Welches Mutterbild herrscht vor und möchte ich das ausfüllen? Im Theater könnte ich daran anschließend fragen:„Warum tragen so viele Frauenfiguren auf der Bühne hohe Schuhe und weiße Kleider?“
Schutzraum oder Nische?
Im Stadt- und Staatstheater scheint Feminismus etwas für Ecken, Specials oder Reihen zu sein. Ja, es ist gut, sich den Platz im Programm zu nehmen und damit auch Schutzräume für all diejenigen zu schaffen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Sexualität oder ihrer Herkunft viel zu oft diskriminiert, ausgepfiffen und gewaltvoll angegriffen werden. Das Body Talk Festival an den Münchener Kammerspielen 2016 sowie das Britney X Festival am Schauspiel Köln diesen März sind Beispiele dafür. Hier bot das Stadttheater den Künstler:innen eine Plattform, die sonst im meist prekären Off-Bereich arbeiten (müssen oder möchten) und nicht gesehen werden. Während beim Theatertreffen in Berlin 2011 auf dem Podium diskutiert wurde, ob Feminismus heute ein Unwort sei, versprechen die Programme aus München und Köln „pussypower“, „queerness“, „diversity“, „empowerment“ und „Selbstkritik des heteronormativen Kulturbetriebs“. Und ja, Selbstkritik ist auch jetzt und hier wieder angebracht: Sind die „Weibsstücke“ nicht genau eine solche Reihe, die Frauen an den Rand stellt und ihnen einen Platz zuweist?
Feministische Inhalte im Theater landen also oft in einer Nische. Aber muss das sein? Stefanie Lohaus, die gemeinsam mit dem Journalisten Christoph Gurk kuratorisch verantwortlich für das Body Talk Festival war, ist Mitgründerin des Missy Magazins, einem Magazin im Selbstverlag für „Pop, Politik und Feminismus“. Sie kennt sich aus mit den Zusammenhängen von feministischen Inhalten im Theater, dem Publikum und der Rezeption von Theater durch die Medien. Berührungspunkte zwischen der hiesigen Theaterszene und einem feministisch interessiertem Publikum gäbe es schon, so Lohaus. Auch im Sprechtheater gäbe es Akteurinnen mit feministischem Anspruch – meistens allerdings in der freien Szene. Was bei den „Stücken“ nicht ganz die Realität ist, diagnostiziert die Journalistin als Problem für das Gesamtprogramm des Stadt- und Staatstheaters: „Die großen Bühnen zeigen Elfriede Jelinek – und dann kommt erst mal lange nichts. Dass Stücke von Regisseurinnen und Autorinnen – egal wie feministisch oder nicht sie sind – an den Stadt- und Staatstheatern eher selten gezeigt werden, ist ja nachgewiesen, man kann es der Studie des Deutschen Kulturrates vom letzten Jahr entnehmen.“ So müssen wir uns eingestehen, dass Anne Lepper und Olga Bach als Autorinnen, aber vor allem Cilli Drexel und Barbara Falter als Regisseurinnen eher noch die Ausnahme als die Regel sind.
Feministische Theaterrezeption?
Lohaus ist die Lücke, die zwischen Theater und feministischen Medien herrscht, durchaus bewusst: „Es gibt ja nicht so viele feministische Medien, und ich behaupte mal, das Missy das einzige feministische Medium im deutschsprachigen Raum ist, das eine Theater-Rubrik hat“, sagte sie in einem kurzen Email-Interview. Das stimmt, zudem ist in den klassisches Theater rezipierenden Medien das feministische Auge noch verschlafen oder gar blind. Ansätze, die Augen und damit den Diskurs zu öffnen, finden sich z. B. im Deutschlandfunk Kultur. Hier kann man der Theaterkolumne der Dramatikerin und Performerin Laura Naumann lauschen. „Grenzenlose Neugierde mit Laura Naumann“ ist eine der Brücken zwischen öffentlich-rechtlichen Medien und der Off-Szene, in der Naumann aktuell als Teil der Performance-Gruppe Henrike Iglesias unterwegs ist.
Die Bühne, das lehren uns Judith Butler und ihre Nachfolger:innen aus der feministischen Theorie und der Theaterwissenschaft, ist nicht nur eine konkrete Situation, sondern auch eine passende Metapher, ein diskursiver Ort, um sich mit Gender auseinanderzusetzen. Dabei sei das Hinschauen möglichst divers, denn den einen, „wahren“ Feminismus gibt es nicht, sondern es sollte immer eine pluralisierte Debattenkultur sein, in der gestritten, aber auch Einigkeit geschaffen wird. Und dafür ist Theater allemal geeignet. Wo sonst treffen Künstler:innen, Publikum, journalistische Medien und Theorie in einem spielerischen Raum aufeinander?
Die Reihe Weibsstücke zum weiteren Durchklicken im Überblick:
III: Hey Puppe!
IV: Alles gleich?