Weibsstücke I


Kritik

Die Statistik zeigt: Bei den 42. Mülheimer Theatertagen NRW haben die Frauen das Ruder in der Hand. Die Festivalleiterin arbeitet mit einem bis auf eine Ausnahme ausschließlich weiblichem Team, das Auswahlgremium beriet sich in einem Verhältnis von drei zu zwei, die Preisjury formiert sich aus vier Frauen und einem Mann. Bei den 2017 ausgewählten Stücken sind mit Olga Bach, Elfriede Jelinek und Anne Lepper drei Autorinnen im Rennen. Eine von ihnen ist zum 18. Mal nominiert: Elfriede Jelinek, die insgesamt – betrachtet man Frauen und Männer und alles, was es dazwischen gibt – wahrscheinlich eine der meistgespielten Dramatiker:innen im deutschsprachigen Raum ist. Auffällig ist allerdings, dass die Kategorie Regie diese weibliche Dominanz nicht repräsentiert; hier sind in diesem Jahr nur zwei von sieben Regisseur:innen weiblich.

Die Arbeit ist getan – lang lebe die Arbeit

Schaut man zehn, 20 oder gar 30 Jahre zurück, wird deutlich: Da liegt schon ein gutes Stück Arbeit an einer (quotentechnischen) Gleichstellung hinter uns. Vor allem die Zusammenstellung der Gremien hat sich deutlich verändert. Im Auswahlgremium wurde 1977 und 1987 ausschließlich von Männern entschieden, wer den Dramatikerpreis bekommen sollte, und auch unter den zu begutachtenden Autor:innen gab es jeweils nur eine Frau. Mit den diesjährigen Zahlen kann man zum Glück nicht mehr von einer personellen Benachteiligung der kulturschaffend und künstlerisch tätigen Frauen sprechen, doch ist damit eine feministische Perspektive auf die „Stücke“ noch lange nicht obsolet. Gerade durch die starke Position der Frauen können wir genauer hinhören, beobachten und analysieren. Es wird möglich, nach den erfolgreichen weiblichen Lebensläufen zu fragen und sich jenseits von grundlegenden – und immer noch notwendigen! – Forderungen nach struktureller Gleichbehandlung wirklich auf die Kunst zu konzentrieren. Wie leben die Protagonist:innen und Nebenfiguren der „Stücke“ in einer Welt der Festivalchefinnen, Männerpuppen und gegenderten Blogtexte? Hat das Publikum einen im weitesten Sinne feministischen Anspruch? Die Reihe „Weibsstücke“ wird sich diesen Fragen an den Orten des Festivals stellen; ob im Foyer oder mit Blick auf die Bühne und in die Texte: Wir möchten Zwischentöne in der Geschlechterfrage hörbar machen und an dieser Stelle dokumentieren und kommentieren.