13. Mai 2016 •
Eine Gruppe Kinder im Kita-Alter tobt durch das Theaterfoyer. Sie spielen Fangen, wo sonst nur gestanden und höflich geplaudert wird, turnen um die Säulen herum und schnattern aufgeregt durcheinander. Die Erzieherinnen verteilen noch einen letzten Becher Apfelsaft, dann ist es soweit. Es ist elf Uhr vormittags, draußen strahlt der blaue Himmel – nicht gerade die gewohnte Theaterzeit. Und was es in den darauffolgenden 45 Minuten zu sehen gibt, entspricht auch nicht unbedingt der üblichen Theatererfahrung eines erwachsenen Zuschauers.
Nicht mit Sprache überfahren
Denn „Himmel und Hände“, ein Stück von Carsten Brandau, ist inszeniert für Kinder ab vier Jahren. Sein Sohn sei gerade sechs Jahre alt gewesen, als er mit der Arbeit am Stück begann, erklärt der Autor, deshalb habe er etwa diese Altersgruppe beim Schreiben im Sinn gehabt. Eine feste Zielgruppe gebe es für seine Stücke dennoch nicht: „Für mich macht das keinen großen Unterschied, ob ich für Kinder oder Erwachsene schreibe“. Niemand wolle schließlich von „Sprache überfahren werden, die einfach zu bombastisch ist“. Also schreibe er alles so, wie er es denke und versuche dabei, den Text derart offen zu halten, „dass jeder etwas für sich herausziehen kann“.
In „Himmel und Hände“ gelingt das ganz wunderbar: Es geht um zwei beste Freunde, A und O. Und es geht um das große Ganze, um die Entstehung und um das Ende, um Alpha und Omega, um das A und O eben. Eine neue Freundschaft, eine Geburt, der erste Tage im Kindergarten, die Einschulung – alles Momente, die Liebe, Zweifel, Schmerz, Abschied und Neuanfang mit sich bringen.
Die größte Geschichte von allen
So erzählt „Himmel und Hände“ eine große Geschichte, die Größte von allen vielleicht. Es ist die Geschichte der Entstehung der Welt. Brandaus Erzählung ist einerseits so einfach und leichtfüßig, dass auch Vierjährige sie verstehen können, andererseits so poetisch und anrührend, dass sie auch Erwachsene ergreift. Absolut verdient hat Brandau den diesjährigen Mülheimer KinderStückePreis erhalten.Und auch die fünfköpfige Jugend-Jury entschied sich für sein Stück.
Auch auf sprachlicher Ebene spricht „Himmel und Hände“ Große und Kleine gleichermaßen an. Die beiden Freunde A und O sprechen an vielen Stellen wie Kinder: „Ist das nicht das Gleiche ist das doch.“ Brandau lässt O seinen Lieblingsbuchstaben in sämtlichen Wörtern unterbringen, „rochts und lonks“, weil das so schön „rond“ klingt. Aber ebenso legt er seinen Figuren fast lyrisch verdichtete Sätze in den Mund, so wie in dem Moment, als O seinen Freund A in der Finsternis seiner Höhle zu trösten versucht: „Wenn deine Sonne sich verdunkelt / Bin ich dein Licht!“ Durch die kunstvolle, aber nie künstliche Sprache könnte „Himmel und Hände“ beim reinen Lesen fast den Eindruck erwecken, Erwachsenenliteratur zu sein. In der wunderbar spielerischen Inszenierung von Winfried Tobias ist es beides: Literatur, die Erwachsene bewegt, sowie ein Theaterstück für Kinder.
Für Tobias liegt das Besondere beim Kindertheater vor allem darin, dass sich Kinder mitreißen lassen. „Erwachsene denken: Das ist doch ein Scheinwerfer“, erklärt er, „Kinder können sich dagegen viel leichter auf die Fantasie einlassen und glauben, dass das eben die Sonne ist, die hier strahlt.“ Das funktioniere nach demselben Prinzip, mit dem Kinder für gewöhnlich spielen: „Du bist jetzt mal A, der die Welt erschafft, und der Scheinwerfer ist jetzt mal die Sonne“.
„Das ist überhaupt nicht unfair“
Auch für die Darsteller von „Himmel und Hände“ war diese Spielerfahrung etwas ganz Besonderes: „Ich hatte noch nie vor so jungen Zuschauern gespielt“, erzählt Alice Katharina Schmidt, die O spielt. „Ich bin immer ganz 'geflasht' von den Kommentaren der Kinder. Zum Beispiel, wenn A fragt, ob es nicht unfair sei, dass wir zwei Hände und zwei Beine haben, aber nur einen Kopf. Dann kommen so Zwischenrufe wie ‚Nee, das ist überhaupt nicht unfair, es wird ja alles vom Kopf gesteuert!‘“.
Das Wichtigste sei, die Kinder als Gegenüber ernst zu nehmen, sagt Marcus Krone, der Darsteller von A, sonst seien sie schnell genervt vom Theaterstück und spiegelten das auch zurück. „Kinder sind eben ehrlich, sie sagen ganz direkt ihre Meinung, auch dann, wenn ihnen etwas nicht gefällt“. Deshalb sei es beim Kindertheater besonders wichtig, ein Thema zu wählen, das das junge Publikum auch interessiert und zwar ohne dass man es vorher „herunterbrechen“ muss, um es verständlich zu machen. Denn für Regisseur Tobias steht fest: „Man muss Kindern nicht immer die Welt erklären“.
Eine Mitschrift des Gesprächs zwischen dem BLICKE-Team und dem Ensemble, auf das sich Maria Segat bezieht, finden Sie hier.