27. Mai 2022 •
Es gibt eine altbekannte Regel zum Vermeiden von Konflikten: Sprich nicht über Religion oder Politik. -
Die bisherigen Publikumsgespräche haben diese Regel meist befolgt und zeigten mehr Konsens als Streit. Dabei kann es einfach sein: Wollen wir Debatten, müssen wir diese Regel bloß ins Gegenteilige umkehren. Aber ist das eine gute Idee? Auf wessen Kosten werden diese Debatten ausgetragen?
Das Publikumsgespräch zu Akin Emanuel Şipals Stück „Mutter Vater Land“ in der Regie von Frank Abt sticht aus der Reihe der Publikumsgespräche heraus. Denn ein Mensch aus dem Publikum fragt genau nach einem dieser verbotenen Themen: Nach seinem Geschmack sei nicht genug Politik in dem Stück. Genauer gesagt nicht genug Politik der heutigen Türkei. Oder Positionierung dazu. Über das Wortpaar „türkischer Universalismus“ sei er auch gestolpert. Das seien doch Gegensätze: Immerhin beinhalte „türkisch“ doch einen gewissen Nationalismus.
Man spürt es an Şipals Reaktion: Es kann vernichtend sein, Kommentare zu hören, die den Mustern folgen, die man kritisiert und für die man in anderthalb Stunden Aufführung sensibilisiert zu haben glaubt. Eine selbsterfüllende Prophezeihung. Interpretation stehe jedem frei, das gibt Şipal zu, nur lehne er es ab, der Person hier entgegenzukommen. Eine moralische Antwort müsse die Kunst nicht geben. Aber er gibt letztendlich trotzdem klein bei und sagt die erleichternden Worte: Er sei natürlich gegen Nationalismus.
Eigentlich war Şipals Intention, sagt er, das Triggerwort „Türke“ so oft zu verwenden, bis es seinen negativen Zauber verliert, aber hier ist eine Triggerspirale entstanden. Vielleicht sieht der Fragesteller keine stereotype Darstellung in dem Stück, aber ist es nicht genauso problematisch, dass er den Autor in der Verantwortung, in einem Erklärungszwang sieht: Ist er nun „guter“ „Türke“ oder nicht? Will er den türkischen Universalismus über Deutschland stülpen?- Ich bin selbst getriggert, diese Vorwürfe hat der Fragesteller eigentlichnicht gesagt. Vielleicht wird es ihm nicht gerecht und damit passiert wieder, was er gebeten hat nicht zu tun: Ihn in eine ihm unliebsame Ecke zu drängen.
Schauspieler*innen kommen Şipal zur Hilfe, das Stück sei hochpolitisch, was sei politischer als die Familie? Es ginge um Deutschland und es gäbe keinen einheitlichen Deutschlandbegriff, das dürfe jedem zustehen. Türkischer Universalismus komme etwa auch als Rhetorik bei Erdogan vor (Şipal verneint, sich darauf bezogen zu haben). Für ihn sei das ambivalent, die Unschärfe mache Kunst erst spannend. Es gäbe keine klaren Werturteile über Türkei oder Osmanisches Reich in diesem Stück.
Şipal gerät selbst in einen Redeschwall an Verteidigungsplädoyers in diesem persönlichen Spezialgebiet. Man spürt seinen Frust, sich damit auseinandersetzen zu müssen.
Er sagt, das Schreiben von Stücken, die sich mit seiner türkisch-deutschen Familiengeschichte auseinandersetzen, sei eigentlich eine Hölle, in die er sich immer wieder freiwillig begebe. Er wisse ja, worauf er sich einlasse: Diese Gespräche würden immer etwas mit ihm machen.
Mit dem Fragesteller einigt er sich darauf, dass sie keinen guten Einstieg hatten - oder gerade einen guten Einstieg. Das heißt, sie einigen sich nicht.