A Taste of a Poison Paradise


Diskurs

Manche Ansichten halte ich für einschlägigen Konsens im Theater. Zum Beispiel im Fall toxischer Männlichkeit. Gilt es zu überwinden! In konfrontativen Momenten zeigt sich, dass gerade das Theater diese utopische (/langweilige? gefährliche?) Annahme oft genug widerlegt. Im Publikumsgespräch mit dem Team vom Schauspiel Hannover um Teresa Doplers Stück „Monte Rosa“ lerne ich, dass es nichts zu überwinden gibt, da man Menschen nicht als toxisch zu bezeichnen habe.

Was mich kurz empört (ein Reflex der hassgeliebten Wokeness), weil das Konzept der toxischen Männlichkeit selten angezweifelt wird. Zugegeben, im studentisch-„woken“ Milieu. Nachdem ich mich gefasst habe, bleibt trotzdem Verwunderung, weil ausgerechnet „Monte Rosa“ in meinen Augen das Angebot macht, auf humorvolle Weise Verhaltensstrukturen auszustellen, und ich es auch im Spiel auf der Bühne als bewusste Persiflage glaubte, erkannt zu haben. Diese Figuren sind keine Individuen, das Verschmelzen ihrer Handlungen, ihrer (nicht existenten) Bewältigungsmechanismen und erschreckenden Empathielosigkeit, ihr Machtspiel mit dem jeweils Schwächeren, je nach Figurenkonstellation. Diese offensichtlichen Parallelen machen sie zu abgefertigten Produkten eines Schlags. Es hat System. Einzig sprachliche Nuancen und das (beeindruckende) schauspielerische Ausfüllen dieser losen Seilschaft machen Unterschiede auf.

Ich entnehme der Aussage des Ensemblemitglieds eine Frustration über die Oberflächlichkeit des Labelns und darin stimme ich zu. Etwa wenn persönliche Abneigungen gegen Charaktereigenschaften durch diesen Stempel verklärt werden, den männlich gelesene Personen sehr viel schneller bekommen. Aber man sollte es nicht verwechseln. Toxische Männlichkeit heißt nicht toxischer Mann. Die Figuren sind nicht geschlechtsgebunden konzipiert und trotzdem haben sie ein destruktives Verhalten. Darum geht es ja, toxische Männlichkeit können alle, sie wird aber in der männlichen Sozialisierung besonders befördert. Das rücksichtslose Alphatier ist Kind der neoliberalen Erziehung, wird im Extremfall zum Wolf of Wallstreet und geht über Leichen, weil das so sein muss. Gleichzeitig verabscheut und begehrt. Toxisch ist das Vorleben, die Belohnung, der Kreislauf, der solches Verhalten begünstigt, statt zu versuchen, es aufzubrechen. Auch in „Monte Rosa“ geht man über Leichen oder blickt vielmehr über sie hinweg und hat sie schon vergessen.

Es ist auch abgestumpfte Leere in diesem Verhalten, welches vielschichtiger ist, als es ein Label zu erklären vermag.

„Monte Rosa“ ist ambivalent genug, das Alphatier nicht als eindimensionalen Täter stehen zu lassen. Aber Verhalten äußert sich situativ. Begriffe erklären sie. Wenn eine Person in der Bibliothek ungebeten die Hose vor dir herunterlässt und masturbiert, ob Machtdemonstration oder eigenes Vergnügen, ist das Wort toxisch ganz gut gewählt, denn es schadet dem Gegenüber. In der Welt außerhalb der kühlen Berge reagieren die meisten nämlich emotional.