Ein Berg an Themen


Gespräch

„Monte Rosa“ spielt in den Bergen. Doch wo eigentlich genau? Teresa Dopler gesteht gleich zu Beginn des Publikumsgespräches: Sie kennt sich gar nicht in den Bergen aus. Die Bergnamen im Stück sind zwar echt, ihre Verortung jedoch fiktiv. Es passt zu der allgemeinen Offenheit des Stückes, die im Laufe des Gespräches immer wieder betont wird, zu der Absicht, sich nicht festlegen zu wollen. Es ist vielmehr der Versuch, ein Panorama zu entfalten, das eine interpretatorische Vielfältigkeit bietet: Je nach Auslegung erzählt das Stück etwa von Klimakrise, Männlichkeit, von Leistungsgesellschaft oder Vergänglichkeit. Die einzelnen Themen bezeichnet Dramaturgin Barbara Kantel als „Fundstücke in den Bergen“.

Ein offener Schreibprozess

Der Dunst der Vagheit verschleiert nicht nur das Tal, sondern auch die Zeit. Wie viele Tage oder Monate vergehen im Stück? Klar definiert ist das nicht, aber: „Sie werden ja auch älter“, sagt Teresa Dopler über ihre Figuren und sorgt damit bei einem Zuschauer für ein kurzes Auflachen. Immer wieder zeigt sie: Ihr Schreibprozess scheint zu ihrem Stück zu passen, ist ebenso frei, so assoziativ und schwer festzumachen. Sie erzählt dem eher zurückhaltenden Publikum, dass die Idee aus den Figuren Bergsteiger zu machen, erst während des Schreibprozesses entstand. Auch die Komik entwickelte sich nach und nach.

Vor allem über die Frage, wie viel Kunst ihre Sprache enthalte, denkt die Autorin länger nach. Es scheint eine schwierige Frage zu sein. Sie stockt, setzt noch einmal neu an und antwortet schließlich: Ihre Sprache sei nicht geplant kunstvoll, eher alltäglich. Der durch die einfache Sprache entstehende Rhythmus passiere einfach.

Von der Männlichkeit und dem Altern

Ebenso offen, so undefinierbar sind auch die Charaktere. Sie sind namenslos, haben keinen Beruf und kein Geschlecht, wirft man einen Blick in die Textfassung. Teresa Dopler „mag die Reduktion“ und sagt, sie habe herausfinden wollen, wie man „eine Figur auf einen Art Nullpunkt setzen“ kann. Diese Offenheit aber kann eine Inszenierung nur bedingt abbilden: So sind die Figuren in Matthias Ripperts Inszenierung etwa nicht geschlechtlos, sie sind alle Männer. Das Thema Männlichkeit nimmt daher bei dem Gespräch viel Raum ein

Es fällt der Begriff „toxische Männlichkeit“, der auf Schauspieler Lukas Holzhausen wie ein Trigger wirkt. Er ergreift sofort das Wort und stellt die Behauptung auf, das Wort „toxisch“ sei zu moralisch konnotiert. Er sieht in den dargestellten Männern eine besondere Verletzlichkeit und ein fast schon zärtliches Begehren. In diesem Begehren steckt Verzweiflung, die Sorge davor, von der jungen Generation abgehängt zu werden. Damit spricht Holzhausen ein weiteres Themenfundstück an: Die Angst vor dem Älterwerden. Schauspieler Nikolai Gemel sieht das Bühnenbild als instagramhaften Ausschnitt, als Kontrastfläche. Auf Instagram stellt sich hauptsächlich die Jugend zur Schau, Alter und Tod werden in dem Sozialen Medium ausgeblendet.

Abschließende Gedanken scheinbarer Bergsteiger

Die erste und einzige Frage des Publikums an diesem Abend richtet sich an die Schauspieler. Eine Frau fragt sie nach ihren Lieblingsszenen und nach den Stellen im Stück, vor denen sie immer etwas Angst haben. Für Nikolai Gemel ist die Stelle, an der seine Figur fragt „Trinkst du?“ seine liebste und gleichzeitig eine Herausforderung, da er immer aufpassen muss, nicht zu lachen. Sein Szenenpartner Lukas Holzhausen steigt spontan mit in die Szene ein: „Alkohol?“ – kurzes Gelächter aus dem Publikum. Mathias Max Hermann erzählt etwas schuldbewusst, dass er die Stelle, an der Nikolai tot auf der Bühne liegt zu seinen Lieblingen zählt. Erneut Gelächter. Hermann begründet: Für ihn zeige die Szene auf überspitzte Weise die Banalität im Schrecklichen.

Was nehmen wir auf uns, um den Schein zu wahren? Ab wann ist wirkliche Nähe möglich? Weitere Fragen, die an diesem Abend angerissen werden – die in Stück und Publikumsgespräch aber offenbleiben. Die Figuren lassen am Ende des Abends ihre Rüstungen fallen. Sie sind in Wahrheit keine Bergsteiger und müssen auch keine sein. Auch wenn sich das Stück nicht auf eine Botschaft festlegen will, so könnte man daraus doch eine Aufforderung zu mehr Verletzlichkeit, zu mehr Ehrlichkeit entnehmen.