Tierische Weltverbesserer
Wer hätte vermutet, dass sich aus den guten alten, leicht sentimentalen Bremer Stadtmusikanten ein bitterböses Diskurs-Märchen auf dem Stand der aktuellen kritischen Debatten reimen lässt? Das musikalisch nicht immer harmonische Quartett – Esel, Hund, Huhn und Katze – beweist in Martin Heckmanns’ Überschreibung jedenfalls ausgeprägt menschliches Krisenbewusstsein und zeigt sich politisch wie soziologisch bestens informiert. Esel Grau hat einen ausgeprägten Hang zu sensibel melancholischer Grübelei über die Leere seiner unterdrückten Existenz. Hund Schlau wiederum will sich nicht mit einem beschränkten Wachhund-Dasein abfinden, um Fremde abzuschrecken, sondern votiert für Freiheit, Selbstbestimmung und individuelles Erleben. Als kluger Vierbeiner verfügt er auch über die nötige politische Theorie: „Ich bin gerade einer nepotistischen Autokratie entflohen, die sich als liberale Wirtschaftsordnung tarnt … Sie stellen uns ruhig mit Konsumangeboten und vereinzeln uns mit individuellen Unterhaltungsangeboten.“ Huhn Kommun ist gerade der Geflügelfabrik Herrenhausen entschlüpft, plädiert für Freilandhaltung und allgemeine Tiermitsprache, gerne auch mit Grundeinkommen, für viel Gartenarbeit und gegen die Herrschaft des Wettbewerbs: Geflügel mit anspruchsvollen Sozialutopien. Fehlt nur noch die hochträchtige Katze Schwarz, eine fast ertrunkene Klimageflüchtete, die nur knapp das Mittelmeer überlebt hat und stark traumatisiert gegen alles wettert, was Treibhausgase macht.
Müller und Müllerin kämpfen derweil um ihre letzten kleinen Bürger*innenträume gegen Abstiegsängste, ruinöse Mindestlohnforderungen und Rationalisierungsdruck im globalisierten Brötchenmarkt. Sie stehen für eine besitzende Verbrauchergesellschaft, die sich der Widersprüche ihrer Lebensweise durchaus bewusst ist. Da kann Hund Schlau noch so viel Systemkritik zitieren: „Das hängt alles zusammen mit der Welt-, Leistungs-, Klassen-, Verbraucher-, Spaß- und Externalisierungsgesellschaft. Kann man nachlesen.“ Man einigt sich schließlich unter den tierischen Weltverbesserern auf Widerstand und tapferes Reimeschmieden, wenn auch auf verlorenem Posten: „Deshalb gelte unser Streben / Einem Beispiel, das wir geben.“
Es kommt, wie es der Titel verspricht: erst der Tod, dann das Bessere. Der Aufstand der Tiere scheitert zunächst an den Konsumversuchungen eines reichen Buffets und endet schließlich unter den Schüssen der im Keller verbarrikadierten Müllers, die sich schließlich aus Einsicht in ihre Verbrechen selbst die Kugel geben. Die bessere Zukunft wird dann die Brut der sterbenden Katze richten müssen, letzte Worte weisen den Weg: „Bedenkt unsere Sorge, wir waren Versuche / Machts besser und sucht euch Begleiter fürs Leben …“
Das Kasseler Ensemble nimmt sich ein Beispiel am tierischen Bremer Mut und stürzt sich furchtlos ins musikalische Abenteuer. Wenn die rockigen Arrangements (Masha Qrella) nicht versehentlich den Text übertönen, bescheren Heckmanns’ witzig-kluge Reimkünste dem deutschen Schlager eine echte Offenbarung. Also: Ohren spitzen und genau hinhören!
Franz Wille