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Vorhang auf und Ketchup bitte!


Kolumne

In Deutschland verteilt gibt es unzählige Mühlheime und Mülheime. Es gibt zum Beispiel Mühlheim am Main in Hessen, Mühlheim an der Donau in Baden-Württemberg oder auch den Stadtteil Mülheim in Köln. Und dann gibt es natürlich Mülheim an der Ruhr. Alles Orte, von denen ich bis vor ein paar Wochen weder gehört noch die ich gesehen hatte. 

Ich komme aus dem Süden. Ich wohne seit zwei Jahren in Nürnberg und bin in Baden-Württemberg aufgewachsen. Große Städte wie Köln oder Düsseldorf sind mir bekannt und waren auch schon das ein oder andere Ausflugsziel. Alles, was drumherum liegt, stand jedoch bisher noch nicht auf meiner Reiseagenda. Die Mülheimer Theatertage kenne ich. Theatertage klingen wichtig und groß, und Mülheim klingt eher klein. 

Als eines der bedeutendsten und größten Theaterfestivals sind die Mülheimer Theatertage neben dem Heidelberger Stückemarkt und den Berliner Autor*innentheatertagen eines der wenigen, das sich auf die Autor*innen und ihre Texte konzentriert, und nicht den Fokus auf die Inszenierung des Stückes legt. 

Für junge Schreibende und Debütant*innen kann dies ein großes Sprungbrett sein. Preise wie der Mülheimer Dramatikpreis oder der Publikumspreis können den Grundstein für eine erfolgreiche Karriere legen. Die Dramatikerin Ewe Benbenek beispielsweise gewann im Jahr 2021 den Mülheimer Dramatikpreis für ihr Stück „Tragödienbastard". In einem Interview mit dem Stückeblog im vergangenen Jahr erzählte sie, dass sie durch das Preisgeld des Mülheimer Dramatikpreises finanziell erstmal unabhängig sein konnte und es ihr möglich war, sich ganz auf ihr Schreiben zu konzentrieren.

Internationale Sichtbarkeit

Aber nicht nur für die Autor*innen der deutschsprachigen Stücke ist das Festival wichtig. Die Theatertage legen Wert auf den internationalen Austausch. Die internationale Werkstatt Theater übersetzen mit dem Internationalen Theaterinstitut (ITI) beispielsweise richtet sich als Werkstatt an internationale Dramatik-Übersetzer*innen, die Texte aus dem Deutschen in ihre jeweiligen Muttersprachen übertragen. Dabei stehen die Übersetzer*innen im engen Austausch mit den Theatern ihres Landes und verhelfen der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik zu internationaler Sichtbarkeit.

Doch warum in Mülheim? Warum finden die Theatertage nicht in einer von den zahlreich vorhandenen Großstädten in Nordrhein-Westfalen wie Köln oder Düsseldorf statt? Was ist so besonders an der Stadt, die seit fast 50 Jahren das Festival ausrichtet? 

Einer der zentralen Spielorte der Theatertage neben der Stadthalle und dem Ringlokschuppen Ruhr ist das Theater an der Ruhr. 1980 von Regisseur Roberto Ciulli gegründet, steht das Theater für internationale Arbeit: Durch diverse vom Theater an der Ruhr geförderte Projekte wie die Veranstaltungsreihe Szene Istanbul, welches Stücke aus Istanbul inszeniert, zeigt sich die Theaterstätte im regen internationalen Austausch. Und auch die Aufführungen des internationalen, arabischsprachigen Künstler*innenkollektivs Collective Ma’louba im Theater an der Ruhr eröffnen einen weiteren Blick auf Theater. 

Verschiedene Theaterproduktionen von und für Kinder- und Jugendliche bereichern jedes Jahr den Spielplan und auch die Theatertage übernehmen dieses Engagement. Die Verleihung des Mülheimer KinderStückePreises unterstreicht die Bedeutung neuer deutschsprachiger Kinderstücke. Im vergangenen Jahr konnte der Autor Milan Gather die Jury des KinderStückePreis für sich gewinnen. Mit seinem Stück „Oma Monika – was war?“ thematisiert der Autor die Vergänglichkeit und Vergesslichkeit des Lebens und wie wichtig der Austausch von Generationen ist.

Charme des Ruhrgebiets

Doch in einer Stadt, in der ich beim Heraustreten aus dem Bahnhof auf Pommesbuden und Kneipen aus vergangenen Glanzzeiten stoße, fällt die Vorstellung vom hochgehenden Vorhang auf einer großen Bühne schwer. Aber je weiter ich mich vom Stadtkern entferne, desto schöner wird es: Die Sonne zeigt sich und ich stehe an der Ruhr. Hinter mir liegt die Innenstadt. Am Flussufer gegenüber sehe ich prächtige Herrenhäuser.

Für mich beginnen drei Wochen Ruhrgebiet. Drei Wochen, in denen ich nicht weiß, was mich erwartet aber gespannt bin, was das Festival, aber auch Mülheim zu bieten haben. Von meiner bisher verbrachten Zeit hier nehme ich viele widersprüchliche Eindrücke mit. Ich sehe Fast Food Läden und die überwiegend graue Innenstadt. Ich sehe aber auch das Theater an der Ruhr und die imposante Stadthalle. 

Vielleicht liegt der Charme der Stadt genau in ihren Gegensätzen, genauso wie der Gegensatz das ist, was Theater für mich ausmacht. Denn für mich steht Theater für ein Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen, Werte und Normen. Theater können Orte für Austausch und Diskussion sein, ob in Zwietracht oder Übereinkunft. Theater kann Menschen verbinden. Theater inspiriert zum Nachdenken. Zum Fallenlassen alter Vorurteile und Aufnehmen neuer Sichtweisen. 

Mülheim bewirkt dies auch bei mir. Ich gehe offen auf die nächsten Wochen zu und lasse mich auf das Abenteuer Ruhrpott ein!