Doppelter Zündstoff


Gespräch

Auftakt der Stücke 2016: Die unter der Regie von Yael Ronen am Berliner Maxim Gorki Theater entwickelte Inszenierung „The Situation“, eröffnete am gestrigen Samstag in der Stadthalle das Festival. Auftakt damit auch für die jeweils im Anschluss an die Aufführungen stattfindenden Publikumsgespräche, denen bei den Mülheimer Stücketagen traditionell besondere Bedeutung zukommt. Thematisch sollte es dieses erste Gespräch dann auch schon in sich haben.

Aber der Reihe nach: In den weitläufigen Räumlichkeiten des ebenfalls in der Stadthalle befindlichen Kammermusiksaals sammeln sich nach und nach die interessierten Gäste. Gegen halb zehn ist der Saal schließlich rappelvoll. Erwartungsvolle Stimmung im Publikum, das kurz zuvor die Aufführung mit langem Applaus bedacht hat.

Stückentwicklung per Austausch

Dann füllt sich auch das Podium. Mit Yousef Sweid, Karim Daoud, Ayham Majid Agha, Maryam Abu Khaled und Dimitrij Schaad sind fünf der sechs Schauspieler vertreten. Dazu kommen noch Ludwig Haugk, Hausdramaturg des Gorki, und Regieassistent Moritz Sauer, der sich im Verlauf des Abends immer wieder tapfer in der Rolle des Simultandolmetschers beweisen wird. Das sechste Ensemblemitglied, Orit Nahmias, die Dramaturgin des Stücks Irina Szodruch sowie die Regisseurin Yael Ronen selbst sind leider verhindert.

Michael Laages, der bereits 2015 die Publikumsgespräche moderierte, führt durch den Abend. Nach einigen Eröffnungsworten von seiner Seite entspinnt sich das Gespräch zunächst auf dem Podium, wechselnd auf Englisch und Deutsch. Details zum Entwicklungsprozess von „The Situation“ werden erörtert und lassen dabei den besonderen Charakter des Stücks deutlich werden. Zentral seien der Austausch mit in Berlin lebenden, etwa aus Israel oder dem Iran stammenden Menschen sowie die intensive Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen der involvierten Schauspieler gewesen. Auf diese Weise habe sich nach und nach die Gestalt des Stücks herausgebildet, welche mit ihren Figurenkonstellationen die komplexen Verästelungen des Nahostkonflikts widerspiegele.

Wie viel ist authentisch?

Nach Laages' erster Fragerunde wird auch das Publikum aktiv in das Gespräch eingebunden. Neben den in „The Situation“ verhandelten gesellschaftspolitischen Themen interessieren das Publikum Fragen zu Autorschaft, Kunstcharakter und Authentizität. Wie lässt sich Autorschaft fassen, wenn der fertige Theatertext im Kollektiv, in der Wechselwirkung zwischen Regisseurin und Schauspielern und nicht vom einsam schaffenden Künstlergenie erarbeitet wurde? Und wie viel Wahrheit, wie viel authentische Lebenserfahrung der Beteiligten steckt eigentlich in dem Stück? Viel, antwortet Schaad, der einen Deutschlehrer mit Wurzeln in Kasachstan spielt. Er betont allerdings zugleich, dass die Figuren auf der Bühne nicht gleichzusetzen seien mit den sie verkörpernden Menschen. Der Frage jedoch, ob das Stück nun auch andernorts in neuer Besetzung inszeniert werde könne, stehen die Beteiligten eher skeptisch gegenüber. Zwar existiere die Textvorlage ja nun und könne folglich ohne Probleme andernorts auf die Bühne gebracht werden. Die persönliche Verbindung der Beteiligten zum Text und dessen Entwicklung lasse sich jedoch nicht reproduzieren.

Letztlich bleibt die Konfliktthematik dominant. Fragen von Identität und Zugehörigkeit, von Abgrenzungen und Feindseligkeit, die sich bei Ronen in der Liebesgeschichte einer jüdischen Frau aus Israel und eines muslimischen Manns aus den Palästinensergebieten verdichten, beschäftigen auch die Zuschauer: Wiederholt wird es im Saal und auf dem Podium unruhig, wenn Aspekte der unübersichtlichen Gemengelage im Nahen Osten angesprochen werden.

Das Stück bewegt die Menschen, und das hat das Publikumsgespräch deutlich gezeigt. Nach einer intensiven Stunde der Diskussion entlässt Laages das erschöpfte Ensemble und ein nicht minder ermüdetes Publikum in den Abend.