Aus Feinden werden Freunde
Wenn Krieg erneut mitten in Europa wütet, wenn sich die Geschichte von Gewalt und Vertreibung wiederholt, stellt sich unmittelbar die Frage: Wie viel Wahrheit kann, darf und muss man Kindern und Heranwachsenden zumuten? An Henner Kallmeyers Stück „Troja! Blinde Passagiere im trojanischen Pferd“ lässt sich die ernüchternde Erkenntnis ablesen, dass sie – egal auf welchen Seiten sie geboren werden – vor ideologischen Einflüssen nie gefeit sind. Mit genau diesen Schablonen im Kopf treffen nunmehr die zwei von verfeindeten Fronten stammenden Protagonisten Briseis und Spourgitis im bekannten trojanischen Pferd aufeinander. Während sich die beiden anfangs noch mit Skepsis, dann mit zunehmendem Interesse begegnen, übt sich der Dritte im Bunde, der Götterbote Hermes, als witzig-munterer Kommentator. „Nachdenken macht die schönsten Kämpfe kaputt. Kämpfen ist tun, nicht denken. Denken können wir Götter eh nicht verstehen. Müssen wir ja auch nicht. Wir sind Götter“, äußert er selbstironisch. Anscheinend liegt das Kriegerische im Menschen offenbar schon in der fehlerhaften DNA ihrer Schöpfer begründet.
Obwohl also nicht gerade die besten Voraussetzungen für eine Besinnung der humanen Gesellschaft vorliegen, gelingt es den beiden Kindern, die vermeintlich unüberwindbare Trennung zwischen ihren Völkern zu durchbrechen. Und zwar im Modus des Spiels. Draußen, in der realen Welt, herrscht paradoxerweise die Lüge, im unschuldigen Erproben neuer Möglichkeiten findet sich derweil ein Weg, eine neue, bessere Welt zu denken. Und mit einem Mal ändern sich ebenso die althergebrachten, fatalen Narrative, weswegen Spourgitis schließlich auch überlegt, ob „man im Frieden nicht auch Held werden“ kann? Sollte man nicht jene feiern, die ihre Stärke mit dem Weglegen der Waffen bekunden? Mit Humor, Charme und psychologischem Gespür schafft der 1974 in Lübeck geborene Dramatiker Kallmeyer einen Text, der höchst brisant und erbaulich den Nerv unserer Zeit trifft.
Björn Hayer