Natürlich wäre unerträglich


Gespräch

Ibrahim Amirs Stück „Homohalal“ sollte ursprünglich 2016 am Volkstheater Wien uraufgeführt werden. Intendantin Anna Badora sagte die Premiere allerdings ab, weil die politische Situation zu brisant war. Ihre Sorge: Das Stück könne „falsch rüberkommen“. Moderator Vasco Boenisch erzählt diesen Fakt zur Entstehungsgeschichte des Stücks bei der Publikumsdiskussion direkt zu Beginn. Und man kann es nicht oft genug erzählen, denn dieser Umstand zeigt auf, was auch während der Diskussion deutlich wird: „Homohalal“ mag kontrovers erscheinen, aber es ist letztlich ein brandaktuelles Stück, das gespielt und besprochen werden muss.

Text in Bearbeitung

Amirs Stück entwickelte sich aus der gespannten gesellschaftlichen Situation heraus, in der es auch zu verorten ist. Um gegen die Zustände in den Flüchtlingsunterkünften in Österreich zu protestieren, besetzten Flüchtlinge im Jahr 2012 die Votivkirche in Wien. Gemeinsam mit den Aktivist:innen erarbeitete Ibrahim Amir in Workshops Stoff und Figuren des späteren Stückes „Homohalal“. Die Idee, die Handlung der Komödie in die Zukunft zu verlagern, kam in diesen Workshops auf. Denn die Teilnehmer:innen stellten sich die Frage, wo sie sich in zwanzig Jahren sehen. Laut Amir war es zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht absehbar, dass sich das Volkstheater Wien für den Stoff interessieren würde. Trotz der endgültigen Absage aus Wien wollte Amir das Stück aufführen. Und Dresden war eines der ersten Theater, das sich mit dem Wunsch meldete, den Text uraufzuführen. Ausgerechnet Dresden. Amir freute sich über deren Mut und sagte sofort zu.

Den gesamten Probenprozess in Dresden war das Stück laut Amir ein „Text in Bearbeitung“. Der ursprünglich an die Stadt Wien angelehnte Texte wurde mit Hilfe des Ensembles an Dresden angepasst und „jeder der Spieler hat auch von sich viel in die Figur reingesteckt“. Fertig war der Stücktext dann erst mit der Premiere am 30. März 2017 in Dresden.

Überzogene Spielweise vs. Naturalismus

Kontrovers diskutiert wird im Gespräch die Spielweise der Inszenierung. „Das Stück ist großartig. Aber warum spielen die Schauspieler so exaltiert?“, will ein Zuschauer wissen. Warum sei gerade zu Beginn der Inszenierung eine überzogene Spielweise gewählt und keine naturalistische, welche die Ernsthaftigkeit des Themas vielleicht hätte unterstreichen können? Schauspieler Thomas Kitsche erklärt, dass diese Spielweise aus der gewählten überzogenen Kombination von Kostüm, Bühne und Besetzung erfolgen muss. Auch Laura Linnenbaum beschreibt die Figuren als „übertrieben assimiliert“. Außer Rounie Mustafa befindet sich kein:e Schauspieler:in mit Migrationshintergrund auf der Bühne, zusätzlich tragen alle Figuren blonde Perücken.

Zur exzentrischen Spielweise erklärt Matthias Luckey, dass die Bühne, dieses „Tableau“, den Schauspieler zusätzlich zu dieser Art des Spielens bringe. Einige der Texte seien sogar erst durch eben diese übertriebene Spielweise entstanden. Wäre das Stück naturalistisch inszeniert worden, wäre es der Regisseurin nach „unerträglich“. Ihre politische Haltung lasse das gar nicht zu. Und auch der Autor findet, dass eine naturalistische Spielweise die Schnelligkeit der Inszenierung, den Ping-Pong-Effekt, nicht erfassen könne. Es handelt sich bei Amirs Stück nun mal auch um eine Komödie. Der Autor erklärt: „Ernste Themen kommen besser an, wenn die Menschen darüber lachen können“. Selbst wenn er versuche, ein Stück mit Ernsthaftigkeit zu schreiben, so rutsche er doch immer wieder in das Komödiantische. Wenn eine Komödie hingegen ernste Aspekte aufgreife und diese absurd darstelle, dann kämen sie einfach besser beim Publikum an.

Angst vor der Zukunft

Auf die Frage, ob Ibrahim Amir einen moralischen Anspruch mit dem Stück verfolge, antwortet er mit den Rückmeldungen, die er bisher von den Zuschauer:innen der Inszenierung erhalten hat. Die häufigste Reaktion des Publikums sei die, dass „Flüchtlinge auch Menschen“ seien. Darüber kann Amir nur staunen. „Ja, natürlich. Flucht ist ein Zustand“. In seiner Komödie tritt für das Publikum also das Menschliche der Flüchtlinge in den Vordergrund.

Weil die Uraufführung in Dresden stattfand, vermutet ein Zuschauer, dass die Uraufführung wohl kaum ohne Widerstand aus der Bevölkerung über die Bühne gebracht worden sei. Überraschend spät seien die Proteste in Form von Schreiben gekommen, nämlich erst am Tag der Premiere.

Auf die Frage wie eine mögliche Zukunft in unserer Realität aussehen könne, hat der Autor keine konkrete Antwort. „Ich weiß es nicht. Und genau das macht mir Angst.“ Die jetzige Situation sei zu unübersichtlich, als das man aus ihr Perspektiven für die Zukunft herauslesen könne: „Ich weiß nicht, ob wir 2038 überhaupt noch erleben werden.“ Sollte es aber in zwanzig Jahren die Möglichkeit geben, dann möchte er Homohalal auch im Jahr 2038 noch auf der Bühne sehen.