Von Licht und Dunkelheit


Autor*innen

Zaghaftes Scheinwerferlicht bestrahlt die geometrischen Linien einer Hausfassade. Die Einführung in Familie Krauses gutbürgerliche Welt wird getragen von diesem schlichten und doch prägenden Bühnenbild, das Marie Roth für Nora Schlockers Inszenierung der Uraufführung im Theater Basel erarbeitete. Die leeren, gelben Wände reflektieren alle Aufmerksamkeit auf das subtil dargestellte Beziehungsgefüge der Unternehmerfamilie. Volle Konzentration auf das Schauspiel. In flapsigem Ton nehmen uns die ersten Repliken mit in eine zunächst banal wirkende Lebenswelt, die der unseren nahe steht. Morgendliche Stuhlgänge und Familienausflüge. Der Autor löst Hauptmanns Sprache des 19. Jahrhunderts durch unsere (manchmal holprige) Sprache der Gegenwart ab, Hauptmanns Schlesischen Akzent zum Beispiel ersetzt er durch zeitgenössische Schimpfwörter. Von Schlockers Inszenierung wird Palmetshofers Text geradezu wortwörtlich übernommen und gewährt uns nicht nur durch raue Floskeln, sondern vor allem durch seine Pausen, Themensprünge und Ellipsen einen Zugriff auf die Menschlichkeit seiner Figuren und deren Innenleben. Eine Abweichung vom Originaltext gibt es aber doch: Drei poetische Monologe von Helene (Pia Händler), der jüngeren Tochter der Familie, fehlen. Das hinterlässt eine leicht spürbare Leerstelle im Text.

Übers Werden und Driften

Die älteste Tochter der Familie Martha (Myriam Schröder) ist hochschwanger und steht mit der Erwartung ihres Kindes im Mittelpunkt des Familienlebens. Doch dann klingelt Alfred Loth (Simon Zagermann), ein alter Studienfreund des zukünftigen Vaters Hoffmann (Michael Wächter), an der Tür. Nach zwölf Jahren taucht er ganz unangekündigt aus dem Nichts auf und weder Figuren noch Publikum verstehen genau, wieso. Die Frage nach dem Grund seines Besuchs macht eine große Thematik des Stückes auf, und zwar diejenige der Erklärungen und der Erhellung.

Klären würde Alfred Loth gerne, wie er und sein ehemaliger Freund Hoffmann sich so unterschiedlich entwickeln konnten, wie sie einerseits zu einem Journalisten einer linken Wochenzeitung und andererseits zu einem rechts-konservativen Unternehmungsführer werden konnten. „Wir driften / auseinander“ lauten Loths Worte. Tatsächlich greift hier ein politischer Dissens in die private Sphäre alter Freunde ein und führt zu einer Überlagerung zweier Lebensbereiche. Die Verknüpfung dieser beiden Dimensionen lässt das Stück uns offen. Die Frage des individuellen Werdens und insbesondere die Frage nach den Bedingungen des Werdens stellt sich auch Martha. Wird sie durch ihr Kind endlich zu der Frau, die sie schon immer hätte sein sollen? Es ist wiederum Loth, der dem Menschen nur das „vorübergehende“ Sein eines „Provisoriums“ zuspricht. Mittels des Kontrasts zwischen tiefgründigen Reflexionen über das Menschsein und vulgären Ausfällen der Zwischenmenschlichkeit baut sich eine proportional steigernde Spannung des Stückes auf.

Das Tempo nimmt zu

Diese Steigerung äußert sich nicht nur in musikalischen Einspielungen (Marcel Blatti), die zwischen leichtfüßigen und dunklen Klängen schwanken, sondern ebenfalls in einem Bühnenbild, dessen Raum kontinuierlich an Tiefe gewinnt. Der Eindruck eines Risses zwischen den Figuren, nicht nur zwischen Martha und Hoffmann, sondern auch zwischen den Eltern Krause, gewinnt an Wirkung durch zögernd gesprochene Texte. So wie die zunehmend längeren Sprechpausen eine Unfähigkeit der Wortfindung und damit auch des Zusammenfindens andeuten, so können auch die Zuschauer*innen spüren, wie sie mit den Figuren auf einen unbestimmten, sich zwischen den Zeilen ankündigenden Abgrund zusteuern.

Der ironische Aufgang

Die Utopie Alfred Loths von einem (er)klärenden Dialog und einem gegenseitigen Verständnis stößt immer wieder mit einem bürgerlichen Realismus zusammen und führt schließlich zur finalen Desillusion. Ein roter Faden zieht sich durch das Spiel der Darsteller:innen, durch den visuellen Effekt des Bühnenbildes und durch die Musik zwischen den Szenen: es ist die Gegenüberstellung von Helligkeit und Dunkelheit, von Aussprachen und verzweifeltem Aneinandervorbeireden. Als dann wirklich die Sonne aufgeht und den Zuschauerraum mit ihrem gleißenden Licht durchflutet, wird klar: Was das Licht preisgibt, ist ein Nichts. Die Strahlen verweisen auf eine Aussicht, die in sich selbst zerfällt.

Palmetshofers Text, den seine konkrete Greifbarkeit und sein gleichzeitiger Tiefgang auszeichnen, wird in Nora Schlockers Inszenierung insbesondere durch das minimalistische Bühnenbild und die kontrastierende, lebendige Sprache zu einer vielschichtigen Materie.