15. Mai 2016 •
Die Studenten beziehungsweise Absolventen der Folkwang-Universität der Künste haben es gut: Sie kommen umsonst in jede Vorstellung der „Stücke 2016“ – verdientermaßen. Denn dafür müssen sie dieses Jahr erstmalig etwas zum Festivalprogramm beisteuern, nämlich die „Szenentaucher“ getauften Vorabend-Darbietungen, in denen einzelne Best-of-Szenen der bisherigen Publikumspreisträger gezeigt werden. Luana Velis und Benjamin Werner freuen sich, dass die schon länger dagewesene Idee nun – auch Dank der Initiative von Profi-Schauspieler Roland Riebeling – endlich in die Tat umgesetzt wird. Ein Schritt in die richtige Richtung?
Generell seien die „Stücke“ Menschen ihrer Altersklasse bisher nicht gerade entgegengekommen: Andere Festivals hätten schon früher die Idee einer Hochschulkooperation gehabt und vermarkten sich gewissermaßen dynamischer. „Ich finde, junge Menschen haben es sehr schwer hier in Mülheim“, meint Luana. Ihre Argumente sind leider stichhaltig: Zwar setzen die „Kinder-Stücke“ dieses Jahr bereits zum siebten Mal ein Ausrufezeichen in Sachen theaterpädagogischer Vermittlung und auch der mehrheitlich erwachsene Besucher bekommt neben Musik, Sekt, Konferenzen und Vorab-Lesungen so manches geboten; die Kartenpreise für Schüler und Studenten sind jedoch nach wie vor sehr hoch. Dabei hätte Mülheim mit seinen durchaus charmanten Spielorten zwischen Ruhr, Grünflächen und typischen „Pott“-Straßen das Potenzial, etwas zu bewegen und das Theater als Medium wieder „volksnäher“, also zugänglicher und erzählfreudiger zu gestalten.
Sehnsucht nach Krawall
Nur kritischen Dampf abzulassen, liegt Luana und Benjamin fern. Vielmehr würden sie gerne konstruktive Vorschläge einbringen: Wie wäre es zum Beispiel mit einer eigenen, studentischen Produktion im Rahmen des Festivals anstelle collagenhaft zusammengestellter Szenen? Luana dürstet es außerdem nach einer Portion „Krawall“, mit der gerade die jungen Nachwuchs-Darsteller die Brezel-und-Schampus-Atmosphäre eines Opernfoyers, wie man sie zumindest in der Stadthalle erlebt, aufmischen könnten. „Aber die Kooperation läuft dieses Jahr eben zum ersten Mal, da muss man hoffen, dass sie sich weiterentwickelt.“
Respekt darf man den Folkwänglern aber schon in diesem Jahr entgegenbringen, denn in kürzester Zeit – zwei Proben à vier Stunden – haben sie sich die durchaus komplexen Szenen der ehemaligen Siegerstücke angeeignet. Dabei stand bis zum Schluss weder fest, ob es eine extra Bühne für sie geben noch wer ihnen überhaupt zusehen würde. Beängstigung hätten sie deshalb nicht empfunden: Ungewissheit gehöre ja für jeden halbwegs flexiblen Schauspieler zum Berufsrisiko.
Abtauchen lohnt sich
Enttäuschend war dann die Ignoranz der meisten Besucher am vergangenen Freitag: Während die Folkwängler im Stadthallenfoyer längst in ihrem Spiel aufzugehen suchten, wurde im Hintergrund lange ungestört durchgequasselt. Die persönliche Anwesenheit einer Sibylle Berg erschien vielen offenkundig relevanter. An dieser Stelle also umso nachdrücklicher der Hinweis: Die Szenen aus Stücken von Tankred Dorst, Martin Heckmanns, Elfriede Jelinek, Dea Loher, Urs Widmer und anderen sind nochmals am 18., 22. und 23. Mai zu erleben. Zu genießen trifft es wohl eher, denn trotz der straffen Zeitvorgabe und der räumlichen Abgrenzung vom „Hauptprogramm“ legen sich die „Folkwang-Taucher“ mächtig ins Zeug und vermitteln einen sprühend lebendigen Eindruck ihrer ganz persönlichen Beschäftigung mit zeitgenössischem Theater, indem sie unter hohem Körpereinsatz, mit viel Emotionen und ohne jedwede Requisiten ein überzeugendes Stimmungsbild abgeben. Setzt man sich an einen der schwarzen „Stücke“-Tische und lässt sich auf ihre ungeschminkte Darbietung ein, erschrickt man womöglich über manche lautstarke Passage, vermag aber dennoch gut zu folgen und kurzweilig „abzutauchen“.
„Wir Deutschen müssen wieder lernen, Geschichten zu erzählen“, sagt Benjamin im Interview. Und Luana stimmt ihm darin zu, dass Gegenwartsdramatik nichts so sehr brauche wie berührende, nachvollziehbare und ungekünstelte Momente aus dem Leben. Ein theatrales „Wir-Gefühl“ zu erzeugen, sei aktuell weitaus wichtiger als sich in Sprachreflexionen oder Wortfluten zu verlieren. Luana wird es nach einem verbleibenden Jahr in Bochum ans Schauspiel Frankfurt verschlagen, Benjamin bekommt ein Engagement am Theater Osnabrück. Zwar beschweren sie sich jetzt schon zurecht über kapriziöse Eigenheiten des Theaterbetriebes, die Leidenschaft für ihren angehenden Beruf spricht indes umso mehr aus jedem ihrer Statements. Toi, toi, toi von unserer Seite.