„Ich arbeite vampiristisch“


Gespräch

„Manche Regisseure arbeiten künstlerisch sadistisch, also autoritär – Frank Castorf zum Beispiel –, manche arbeiten masochistisch.“  Armin Petras beschreibt, wie Theaterabende entstehen. Beim Publikumsgespräch im Anschluss an die erste der beiden dreieinhalbstündigen Aufführungen von „Buch (5 ingredientes de la vida)“ legt der Regisseur mögliche Arbeitsmethoden dar. Und wie arbeitet er? „Bei mir ist das eher vampiristisch“: Statt eines vorgefertigten Gesamtkonzepts werde eine Inszenierung mit und durch die Schauspieler*innen entwickelt, deren Ideen Verwendung finden. Den anwesenden Ensemblemitgliedern auf dem Podium scheint das zu gefallen; sie loben die Arbeit mit Petras und der Gruppe als ein Geben und Nehmen, das sich Gegensätze der Meinungen und Charaktere zunutze macht.

Elefanten und die DDR

Die Stückinhalte betreffend hält sich das Gespräch – trotz mehrfacher Erwähnung, dass in den einen Bogen von 1966 bis ins Jahr 2013 schlagenden Erzählkoloss noch vieles mehr hineinspielt – vor allem bei zwei Themen auf: dem historischen DDR-Bezug und dem stilistisch heraustanzenden Elefantenkampf. „Was nutzt es, in einer Szene in die Perspektive der Elefanten zu wechseln und ihnen menschliche Texte in den Mund zu legen?“, will eine Zuschauerin wissen. Über diese Frage ist Petras – der an diesem Abend „auch als Fritz Kater Auskunft gibt“, sein Autoren-Ich also an seiner Seite hat – hocherfreut. Elefanten seien die besseren Menschen, die zeigen können, wo Instinkt noch funktioniert – und dieses Schlagwort „Instinkt“ übertitelt nicht nur den vierten Teil des Abends, sondern schlage auch einen Bogen vom Essener Hauptbahnhof in die Steppe Tansanias, um einen Außenblick auf das turbokapitalistische Europa zu gewinnen. Die energetische Elefantenszene sei übrigens schon vom Schreiben her als bewegungsintensive gedacht, die mit den Rhythmen des Live-Musikers Miles Perkin zu einer Etappe von sehr eigener Ästhetik verschmelze – wie jede der fünf „Ingredientes“ des Abends ihre ganz spezielle habe.

Moderator Michael Laages kommt auf die DDR-Kadergeschichte zurück, die er selbst zu Beginn eingebracht hat: Was fängt ein Publikum in Stuttgart, in München, in Mülheim damit an? Unterschiedliches wohl, wie sich aus der eher zaghaften Antwort einer Zuschauerin ableiten lässt, aber die roten Fäden zeichnen sich ab: Es geht um Utopien politischer, gesellschaftlicher Art, die im Laufe des Stücks immer mehr zur Frage nach der kleinen, privaten Utopie von Partnerschaft und Familie werden. „Wir sind vorsichtiger geworden mit dem, was wir vom Leben verlangen können“, beobachtet Armin Petras als Ausgangsthese.

Alles wächst

Ganz im Gegensatz dazu ist seine Vorgehensweise beim Inszenieren alles andere als vorsichtig. „Die Gruppe versucht immer wieder Dinge, die sie nicht kann – für Theaterschauspieler absolut notwendig.“ Dem extrem fragmentierten Stück habe man sich in einer durchaus persönlichen Suche angenähert, wobei auch die Adoleszenzthematik hilfreich ist: „Klar, ein Wachsen findet immer statt“, stellt es Schauspieler Thomas Schmauser heraus.

Über sich hinaus wachsen Publikum und Podiumsgäste zu dieser späten Stunde nicht mehr – die ermüdete und ziemlich geschrumpfte Stückegemeinde wird nach einer kompakten und überwiegend vom Podium geführten Diskussion in den wohlverdienten Feierabend entlassen, „nach einem langen Abend auf relativ unbequemen Bänken“, wie es Michael Laages zum Abschied zusammenfasst.