Wie wir schreiben


Diskurs

Christine Wahl sieht sich selbst als Profizuschauerin, die – mit mehr Hintergrundwissen im Gepäck als es ein „normaler“ Zuschauer hätte – das Geschehen auf der Bühne kommentieren und analysieren will. Ihre Kritiken sind allerdings keine subjektiven Erlebnisberichte, sondern Analysen, die ihre persönlichen Kriterien transparent machen. Sie schreibt seit 20 Jahren und verrät, dass sie stets eine Nacht über das Gesehene schlafen muss, bevor sie mit dem Schreiben beginnt. Ansonsten traue sie ihrer Haltung nicht.

Wie unterschiedlich Kritiker arbeiten, sieht man im Vergleich dazu an unserem Blog-Autor Helge Kreisköther. Er setzt sich am liebsten gleich nach Vorstellungsende hin und legt los. Die Uhrzeit ist dabei egal, auch was um ihn herum geschieht kann er ausblenden: Hauptsache, die guten Ideen gehen nicht flöten.

Für Bloggerin Sophia Steneberg hingegen kommt es ganz auf den Moment an. Je nach Situation hat sie mal in vollen Räumen, mal in einer ruhigen Nacht zu Hause die besten Ideen. Dabei ist es ihr besonders wichtig, außergewöhnliche Textformen zu finden und mit der Sprache zu spielen.

Nachdem sich nur drei der vierzehn anwesenden Schreiber in unserer Runde vorgestellt haben, sind wir bereits mit drei verschiedenen Arbeitsweisen konfrontiert. Und ein jeder in unserer Runde hat seine eigene Schreibstrategie. Da liegt die Frage nahe: Wer macht es richtig? Ist eine dieser drei Schreibstrategien der Weg zur perfekten Kritik? Oder gibt es eine andere, noch unentdeckte Strategie, die besser ist als alle anderen?

Was macht eine gute Kritik aus?

Zunächst müssen wir uns eine recht schwerwiegende inhaltliche Frage stellen: Was macht überhaupt eine gute Kritik aus? Sie sollte informativ sein, aber nicht zu viel verraten. Sie sollte unterhalten, aber nicht veralbern. Sie sollte Schwierigkeiten und Schwachstellen formulieren können, dies aber auch stets belegen. Sie sollte aus einer unvoreingenommenen Perspektive verfasst sein.

Vier Punkte, die zunächst plausibel klingen – sich in der praktischen Umsetzung jedoch nur schwer bis gar nicht realisieren lassen. Besonders die „unvoreingenommene Perspektive“ sorgt bei uns für viel Diskussionsstoff – zu Recht. Um aus einer solchen Perspektive zu schreiben, dürfte ein Kritiker:

  1. weder einen der Schauspieler noch den Regisseur persönlich kennen. (Nun gut, dieser Punkt ist nicht ganz so heikel –  zumindest, was uns (noch recht unerfahrene) Blogger angeht. Bei Christine Wahl sieht es da wahrscheinlich schon anders aus.)
  2. noch das Stück bereits in einer anderen Inszenierung gesehen haben. (Genau wie bei 1. weniger heikel für uns (oder?) als für Christine Wahl.)
  3. noch sich nach Lesen des zu Grunde liegenden Textes eine einschlägige Meinung über das Stück gebildet haben. (Der erste wirklich heikle Punkt für alle, denn wie will man kontrollieren, ob man sich nicht bewusst oder unbewusst eine Meinung über das Stück gebildet hat?)
  4. noch durch Studium, Theaterbesuche und die Auseinandersetzung mit Texten mehr oder weniger mit dem Medium Theater sozialisiert worden sein. (Tja, das ist ein Punkt, den wohl niemand von uns erfüllt, denn könnten oder wollten wir sonst als Theaterkritiker arbeiten?)

Zieht man ein Resultat aus diesen Punkten, müsste der ideale Theaterkritiker ein Journalist sein, der noch nie mit dem Theater in Berührung gekommen ist. Was natürlich ein Widerspruch in sich ist, denn was sollte ein völlig Unwissender über das Bühnenbild von „The Situation“ zu sagen haben? Oder über die Schauspielkünste von Dimitrij Schaad?

Produktive Verwirrung

Nach dem Gespräch mit Christine Wahl sind wir alle produktiv verwirrt. Denn eines wurde deutlich: Zum Schreiben einer Kritik gibt es keine allgemeinen Kriterien. In diesem ganzen Chaos fragt man sich: Was soll ich denn nun am besten tun? Welcher Strategie folge ich, um eine gute Kritik zu schreiben? Gibt es irgendetwas, das uns alle verbindet? In erster Linie ist das wohl der Spaß an der Arbeit. Genau die Tatsache, dass uns niemand erklären kann, wie wir am besten schreiben sollen und wann der perfekte Zeitpunkt zum Schreiben ist, lässt uns so viele Freiheiten. Und fordert uns heraus.

Wichtig ist letztendlich nur, dass wir so unbefangen wie möglich in eine Inszenierung hineingehen und uns beim Schreiben von unserer persönlichen Wahrnehmung leiten lassen. Und wenn wir ehrlich sind, ist jeder froh, dass es kein Schreib-Einheitsrezept gibt. Denn dann würden sich alle Kritiken ähneln. Und worüber sollten wir dann noch diskutieren?!