4. Juni 2023 •
Lina Berber – Liebesbrief ans Theater
Ich gehe im Jahr wahrscheinlich dreimal so oft ins Kino wie ins Theater. Ich mag Theater sehr gerne, aber wenn es Freitagabend wird, scheint ein Kinobesuch aus irgendeinem Grund viel naheliegender, als mir eine Vorstellung im Theater anzuschauen.
In den letzten drei Wochen habe ich mir elf der zwölf nominierten Stücke angesehen. Von manchen konnte ich mich berieseln lassen, andere forderten mich heraus und wieder andere musste ich kritisch betrachten. Aber jetzt, am Ende von allem, denke ich: Ich habe mich vermutlich bei jedem Stück neu ins Theater verliebt.
Und das nicht nur in die Stücke, sondern auch in die KinderStücke. Immer wieder wird eine Modernisierung des Theaters gefordert, die mit Sicherheit auch nötig ist, aber ich frage mich, ob die Menschen, die so ein negatives Bild vom Theater haben, in der letzten Zeit mal im Publikum bei einem Kinderstück saßen. Die Kinder haben sich nicht mehr eingekriegt vor Lachen bei Marc Beckers „Der Hase in der Vase“. Sie waren fasziniert von einer die Sterne darstellenden, angeleuchteten Discokugel in Anah Filous „kirschrotGALAXIE“, und sie haben sich verstanden gefühlt von den Held*innen in Fabienne Dürs „Luft nach oben“. Theater ist Magie, es reißt die Kinder mit, denn es ist eine unmittelbare Kunst.
Manchmal fehlt mir dieses Mitreißen im Theater. Besonders dann, wenn ich das Gefühl habe, nicht auf Augenhöhe angesprochen zu werden. Mir wird nur eine Krise nach der anderen serviert, manchmal verpackt in Gesang, manchmal in lange Monologe. Und dann wünsche ich mich ins Kinder- und Jugendtheater zurück, wo so viel gesagt wird, ohne ein einziges Mal Wörter wie Leistungsgesellschaft oder Flüchtlingskrise zu erwähnen.
Und trotzdem holen mich auch die Stücke immer wieder ab, in denen die Welt dauerhaft kurz vor dem Untergang zu sein scheint, in denen mindestens eine Figur leidet, meistens eher mehr. Auch davon fühle ich mich angesprochen, weil das auf schonungslose Weise der Realität entspricht.
Texte wie Sivan Ben Yishais „Bühnenbeschimpfung (Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr?)“ hatten mich innerhalb der ersten fünfzehn Minuten soweit, dass ich in Applaus hätte ausbrechen können. Dass uns allen dieser Applaus am Ende verwehrt blieb, weil das Teil der Inszenierung war, frustriert mich auch drei Wochen später noch, denn verdient wäre er wirklich gewesen. Aber dieses Gefühl der Faszination, das ist geblieben: für die schauspielerische Leistung und die Art und Weise, wie die Themen angegangen und vermittelt wurden.
Viel ging es um Realität (oftmals auch um die Flucht daraus) und Identität, zum Beispiel im diesjährigen Gewinnerstück „Die Katze Eleonore“. Es ging aber auch viel um Institutionen, um Theater, um Familie, um Wandel, um Liebe auf verschiedensten Ebenen und fast nebenbei um die Darstellung von Katzen aller Art. Auf der Bühne wurden aktuelle Diskurse geführt, die mich anregen, mir meine eignen Gedanken zu machen, die mich konfrontieren mit Perspektiven, die ich vielleicht noch nie eingenommen oder betrachtet habe. Auch das ist die Magie des Theaters. Oder mindestens die Magie Mülheims.
Sarah Füssel – Nähe zu Menschen
Ich bin ehrlich: Vor diesem Jahr wusste ich nicht mal, was die Mülheimer Theatertage sind, weshalb ich auch keine großen Erwartungen hatte. Doch tatsächlich habe ich etwas gelernt. Das eine, was ich mitnehmen werde, ist die Menschlichkeit. Normalerweise gehe ich ins Theater, schaue mir die Inszenierung an und gehe direkt danach wieder nach Hause. Doch hier konnte ich die Menschen hinter allem kennenlernen. In Mülheim kriegt man die Chance, mit den Mitarbeitenden und den Ensembles zu sprechen. Die Hemmschwelle zwischen Publikum und Theater wird kleiner. Und dadurch wird das größer, was ich am Theater so schätze: die Nähe. Das habe ich in den letzten drei Wochen gelernt. Die Kunst ist wichtig, aber wahrscheinlich sind mir die Menschen dahinter noch wichtiger.
Maja Grüter – Stückebetrachtung
Vor den Mülheimer Theatertagen kannte ich Theater nur aus der klassischen Perspektive. „Gegenwartsdramatik“ war mir ein Fremdwort. Ich wusste, dass die Stücke neu sind – moderner, technischer, aktueller – und trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, wie die Inszenierungen aussehen würden. Dass ich mit meinen Erwartungen nicht ganz richtig lag, habe ich schnell herausgefunden, als ich das erste Stück gelesen habe: „Die Katze Eleonore“ war überhaupt nicht so geformt, wie man es im Germanistik-Studium lernt – keine strukturelle, lineare Trennung von Haupt- und Nebentext. Auch war ich sehr überrascht davon, wie wenig Nebentext es in den Stücken gibt. Viele Texte haben mir nicht gefallen, weil mir die Struktur gefehlt hat. Viele Stücke (und Inszenierungen) haben mir nicht gefallen, weil mir die Handlung gefehlt hat. Zu oft wurden politische Themen krampfhaft eingebaut und in den Vordergrund gerückt, wo etwas anderes vielleicht passender gewesen wäre. Theater ist für mich nicht die Bühne für einen politischen Vortrag, zumindest nicht, wenn er als andere Handlung verkauft wird und diese dann ganz offensichtlich nicht existiert. Man kann mit einer starken Handlung genauso aktuell sein und dazu noch etwas eleganter. So gab es auch Stücke, die sich nicht als etwas ausgegeben haben, das sie nicht sind. „Entweder ganz oder gar nicht“, muss man sich da gedacht haben – genauso sollte es sein.
Emily Lüpken – Theatertagetraum
Die Mülheimer Theatertage bedeuteten für mich in erster Linie viele Zugfahrten. Ich habe kleine Kinder schreien gehört, Fußballfans tröteten mir betrunken ins Ohr und nächtliche Kälte fraß sich in meine Kleidung. Waren die Mülheimer Theatertage den Aufwand wert? Ich denke schon.
Außer einigen traditionellen Schultheaterstücken sowie eigene Improtheater-Shows war Mülheim meine erste Begegnung mit dem Theater. Es war eine ernste, verwirrende und prägende Zeit mit Eindrücken, die noch lange in meinem Kopf nachwirkten. Das kann man gut daran sehen, dass ich sogar von einer der Inszenierungen geträumt habe. Mit Schminke im Gesicht schrie ich meine Mitkommilitonen im Traum an: „Skript! Skript!“ und textete meine Freunde mit plötzlich aufkommenden philosophischen Gedanken zu. Es ist, als hätte mich die Theaterwelt aufgesogen wie Alice im Wunderland. Ich war in einem Land gelandet, wo die Leute merkwürdig aussehen, noch komischer reden und ganz dramatische Gesten machen. Tod! Veränderung! Drama! Ausrufezeichen wurden verteilt wie Bonbons an Fasching. Und jetzt ist es vorbei. Alice wurde nach Hause geschickt, Zugendstation: Paderborn. Was bleibt? Das wird sich im Laufe der Zeit zeigen. Auf jeden Fall habe ich einen großen Batzen an Erfahrung im Gepäck. Durch die vielen Redaktionsmeetings für den Stückeblog und die Begegnungen mit verschiedensten Theaterpersönlichkeiten habe ich viel gelernt, persönlich wie auch für mein eigenes Schreiben. Das Austauschen über die Schreibideen und Texte war für mich auch das Beste, noch besser als die Vorstellungen an sich. Da war und bin ich immer noch dankbar für jede Anmerkung und Korrektur, die gemacht wurde. Der Stückeblog war mein persönlicher weiße Hase, der mich im Wunderland rumführte.
Ich freue mich sehr dabei gewesen zu sein und frage mich, welche Orte ich als nächstes besuchen werde. Mülheim wird auf jeden Fall immer in meinem Herzen bleiben.