Diskurs in Pink


Kritik

Das Stück beginnt in einem eher geschmacklos eingerichteten Wohnzimmer der 90er Jahre. Dort endet es auch. Und alles dazwischen passiert auch dort. Es ist ein Kammerspiel, in dem Berlin eine Hauptrolle übernimmt, ohne ein einziges Mal gezeigt zu werden. Golda Barton überführt für „Sistas!" Anton Tschechows „Drei Schwestern“ ins Berlin im Jahr 1994. Hier geht es um dieselben Schwestern, doch in dieser Version sind sie PoC. Rassismus, Sexismus, Feminismus, der Text und dessen Inszenierung des Theaterkollektivs Glossy Pain scheinen alle der aktuellsten und heikelsten Themen abzudecken, und das trotz des altmodischen Settings (Bühne: Lani Tran-Duc). 

Die Bühne besteht zum größten Teil aus dunkelblauem Teppich. Der Raum wird begrenzt durch silberne Lamettavorhänge, auf die hin und wieder schwarz-weiß Bilder von Schwarzen Familien und GIs projiziert werden. Im Raum selbst befinden sich nur ein überlebensgroßer rosa Plüschhase, ein passend dazu rosa Sofa und ein Piano. Vor diesem Hintergrund heben sich die Schwestern in ihren verschiedenen Pink-Tönen (Kostüme: Martha Lange, Carlotta Schuhmann), wie präzise gesetzte Akzente, ab. Schon die Kostüme deuten an, wer die Figuren sind und wie sie ticken. In einem Baby-Pink findet man Ivy (Pia Amofa-Antwi), der jüngste Sprössling der Familie, hoffnungsvoll, süß und manchmal ein wenig naiv. In einem kurzen Kleid in Magenta die mittlere Schwester, Masha (Diana Marie Müller), sie macht was sie will und erklärt sich selten dabei. Und schließlich die Älteste, Olivia, im Hosenanzug in einem so dunklen Pink, dass es schon fast einem Rot weicht, sie ist seriös und die Bezugsperson für ihre Schwestern, aber wütend darüber, dass sie diese sein muss. 

Die Handlung beginnt, als der Vater der Schwestern, Andrew (Aloysius Itoka), zu Ivys Geburtstag aus New York anreist. Mit seiner Ankunft entblößen sich einige Konflikte. Fragen über Identität, Herkunft und Zukunft werden plötzlich aufgeworfen. Jede der Schwestern hat ein anderes Verhältnis zu ihrem Vater, während Olivia erfüllt ist von Wut, sieht Ivy in ihrem Vater ihre Chance auf eine Zukunft in New York. Immer wieder werden ernste Gespräche geführt, so zum Beispiel über Mashas Freund, Joachim, der sie als „Aushängeschild für seine Weltoffenheit“ benutzt. Was unter Umständen ein großes Thema aufmachen kann, das wahrscheinlich ein ganzes Stück für sich füllen könnte, wird hier im schwäbischen Dialekt diskutiert, den wohl kaum jemand ernst nehmen kann. Und auch nicht sollte, denn früh wird klar, diese Thematiken spielen eine Rolle, angereichert mit eigenen Erfahrungen, Klischees und Fehltritten, dennoch wird die Ernsthaftigkeit ständig gebrochen, Diskurse, um die im Alltag gerne herumgetänzelt wird, weil man bloß nichts Falsches sagen will, werden hier einfach mitten in einer sehr lächerlich und mühsam einstudiert wirkenden Choreographie untergebracht.

Hausgeist am Klavier

Frischen Wind bringt Natty (Amanda Babaei Vieira) in die Kulisse, gekleidet in einem hellen Grün. Sie hat Migrationshintergrund, man ist sich nur nicht ganz sicher, welchen. Vermutlich türkisch oder persisch, vielleicht auch kurdisch (die Schwestern sehen da keinen Unterschied). Natty weiß was sie will und nimmt es sich, ohne zu versuchen jemandem zu gefallen. Sei es Andrew, die Wohnung der Schwestern, oder ihre eigene Rolle, in der sie eigentlich Schwarz sei. Sie weist die Schwestern auf ihren Egozentrismus hin, sie nimmt, wie Andrew, auch Pianistin Soo Jin wahr, und interagiert mit ihr. Und obwohl ihre Absichten nicht immer völlig frei von Eigennutz sind, scheint sie zum Ende des Stücks doch ernsthafte Gefühle für Andrew entwickelt zu haben. Nicht zuletzt das trägt dazu bei, dass sie eine vielschichtige Figur wird, die man schnell ins Herz schließt. 

Eine tragende Rolle kommt auch der Figur Soo Jin (MING) zu, obwohl sie von sich selbst das Gegenteil behauptet. Eigentlich ist sie nur Olivias musikalische Begleitung, sie verschmilzt mit der Kulisse und versucht ungesehen zu bleiben, doch in einem Gespräch mit Andrew, in dem sie sich selbst als „Hausgeist“ bezeichnet, offenbart sie einen Teil von sich selbst, und stiehlt dabei die Show. Sie spricht über ihre koreanischen Wurzeln, ihre Eltern, die Klischees und das Stigma der asiatischen Pianistin, und das alles, auch hier, ohne dabei in eine belehrende Position oder die Opferrolle zu verfallen. Sie spricht über ihre Aufgabe als „asiatisches Token dieses Theaterstücks“, und plötzlich agiert sie auf einer Ebene außerhalb des Stückes, indem sie sowohl Andrew auf der Bühne, als auch den Zuschauer*innen ihre eigene Rolle erklärt. 

„Sistas!“ ist ein Stück über Unterschiede auf allen Ebenen. Unterschiedliche Familienbeziehungen, unterschiedliche Rassismuserfahrungen, unterschiedlicher Umgang mit eben diesen. Es ist ein Text, der den Diskurs aufleben lässt, aber nicht in belehrender Form, denn die Figuren, die ihn führen, sind auch nicht unfehlbar. Aber weil die Inszenierung voll ist von Brüchen und komischen Momenten, die die Themen nie zu ernst werden lassen, die Auseinandersetzung mit dem Angesprochenen nie aufzwingen, lädt es die Menschen ein, am Diskurs teilzunehmen, die das sonst nicht tun. „Sistas!“ macht Spaß und es macht Lust auf mehr. Mehr anregende Gedanken, mehr Konfrontation, mehr von dem, was auf der Bühne passiert für die Zukunft, bitte! Und vor allem macht es Lust darauf, sich mit der eigenen Schwester auf ein Sofa zu kuscheln und in bekannter Vertrautheit einander die absurdesten, relevantesten, albernsten Gedanken zu erzählen.