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Du bist gemeint!


Autor*innen

Blog: Liebe Caren, dein Stück „Die Katze Eleonore“ wurde zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen und zwei Mal im Theater an der Ruhr aufgeführt. Was ist dein bisheriger Eindruck von der Stadt?

Caren Jeß: Ich empfinde das Ruhrgebiet als einen überraschend diversen Ort. Da, wo ich gerade übernachte, wird die Geschichte der Fabrikvergangenheit sichtbar – du steigst aus dem Duisburger Bahnhof aus und siehst ein Labyrinth aus Straßen und Klötzen. Hier wird ein starker Kontrast zum Theater an der Ruhr in Mülheim deutlich. Ich bin durch den Park dahinter spaziert, durch den Menschen ihre Rassehunde führen. Diesen Unterschied finde ich ganz schön enorm.

Rassehunde sind ein gutes Stichwort. Dein Stück handelt von Eleonore Garazzo, die beschließt, als Hauskatze zu leben. Was denkst du, macht das mit den Zuschauer*innen?

Caren Jeß: Ich habe schon einige Theaterstücke geschrieben und kann sagen, dass ich noch nie so etwas erlebt habe, wie bei diesem Text. Die Menschen reagieren so stark auf die Katze, lassen die Geschichte an sich heran und setzen nach dem Theaterabend nicht nur ein Kulturhäkchen. Nach dem Motto: Nett, im Theater gewesen zu sein und mal wieder was Schickes angezogen zu haben. Stattdessen scheint das Stück wirklich etwas in Bewegung zu bringen. In Dresden gab es einen Mann, der dem Theater ganz empört schrieb, man solle doch bitte die für einen vorgesehene Rolle im Leben annehmen. Er hatte anscheinend dieses Identitätsthema überaus ernst genommen und wollte sich dezidiert dagegen aussprechen. Er schrieb auch: Seine Frau würde er nicht in dieses Stück lassen (lacht) – nicht, dass da nachher irgendwelche Türchen geöffnet würden, die dann alles durcheinander brächten. Ich finde das total faszinierend. Wenn Theater es schafft, dem Menschen zu zeigen: „Du bist gemeint!“, dann ist etwas Großes hergestellt. 

Wie kamst du dazu, dieses Stück zu schreiben?

Caren Jeß: Am Anfang stand die Idee, über Eleonore zu schreiben, die entscheidet, fortan als Katze zu leben. Die Katze brauchte erstmal eine Stimme, also eine Sprache, die ich für sie suchen musste. Irgendwann habe ich mit einer befreundeten Psychologin gesprochen, die ich im Hinblick auf die Figur Gerald Wildbruch, Eleonores Psychologen, befragt habe. Später fand ich spannend, wie sie damit umgehen würde, wenn jemand zu ihr käme und sagt: „Ich bin eine Katze. Ich muss diese Therapie absitzen, aber fühle mich nicht krank.“ Mit der Zeit bemerkte ich, dass die Psychologin genauso interessiert daran war, mit mir über Eleonore zu sprechen, wie ich mit ihr. Dieser Prozess ist typisch für meinen Recherchestil: Ich spreche lieber mit Menschen als in Büchern zu lesen. Ich liebe es, mich auszutauschen und zu merken, wie eine gegenseitige Begeisterung für das Thema entsteht. 

Das heißt, du bist nicht von einer Theorie aus an den Text herangegangen?

Caren Jeß: Nein, obwohl ein Derrida-Zitat im Text vorkommt (lacht). Ich wollte das Theoretische dem Psychologen Wildbruch unterschieben, um seine Position als institutionelle Gewalt zu stärken. Er ist derjenige, der klassifiziert und Eleonore einordnet. Für mich ist wichtig, dass Eleonore folgende Frage stellt: „Was aber, wenn ich gesund bin als Abnorm in euren Augen?“ Damit meint sie: Du legst vielleicht eine Klassifizierung fest, du ordnest mich ein und dann steht da: „das ist eine Störung“, aber ich fühl mich super.

Hélène Cixous, gute Freundin von Derrida, hat viel über weibliches Schreiben publiziert. In einem Interview überlegt sie, dass sie die écriture feminine, also das weibliche Schreiben, vielleicht lieber écriture féline, also katzenhaftes Schreiben, genannt hätte. Kannst du etwas mit diesen Begriffen anfangen? 

Caren Jeß: Diesen Genderaspekt empfinde ich auf Anhieb als problematisch: Was soll das sein, weibliches Schreiben? Unter feministischen Gesichtspunkten kann man diesen Begriff zwar sehr kostbar aufladen, aber grundsätzlich denke ich: Ich möchte nicht, dass jemand meine Texte liest und sagt: „Das hat auf jeden Fall eine Frau geschrieben.“ Selbst wenn es eventuell merkliche Indizien dafür gibt.

Vielleicht noch, oder?

Caren Jeß: Genau, das ist der Punkt. Eigentlich ist der Wunsch nach einer Überwindung dieser Zuschreibung da. 

Ich habe aus deinem Text viel Identitätspolitisches herausgelesen und mich gefragt, ob du Respekt davor hattest, was auf der Bühne daraus werden kann? 

Caren Jeß: Ja, Angst hatte ich bei der Katze sehr ausdrücklich. Für mich wurde irgendwann klar, eine Katze zu werden, ist etwas sehr Exzeptionelles. Mich hat das daran erinnert, Frau und somit in der Partizipation an Gesellschaft eingeschränkt zu sein. Deswegen denke ich, die Katze ist eine Überhöhung, eine Übertreibung solcher Geschlechtsidentitäten, die nicht gleichberechtigt an der Gesellschaft teilnehmen können. Im Grunde kann man das auf viele weitere diskriminierte Gruppen ausdehnen. Meine größte Angst war, dass das Stück trans*parodistisch gelesen werden könnte. Aber das ist ganz und gar nicht passiert in der Regie von Simon Werdelis. Er hat den Text respektvoll, sinnlich und klug angefasst.  Bei einer Pressekonferenz in Dresden ging ein Lachen durch den Saal, als Eleonore bei der Verkündung des Programms vorgestellt wurde: „Immobilienmaklerin, die beschließt, eine Katze zu sein“. Da habe ich gedacht: „Ihr werdet euch noch wundern“ (lacht). Es ist kein lustiges Schenkelklopfer-Stück, das sagt: „Ich bin eine Katze und du bist ein Toaster und wir können alle entscheiden, was wir sind“.

Regisseur Simon Werdelis hat beim Publikumsgespräch gesagt, der Text sei kein queeres Märchen, denn diese Perspektive sei zu eng für den Text. Ich bin auch der Meinung, dass dein Stück Parallelität und Ambiguität toleriert und sich dadurch nicht festlegen lässt.

Caren Jeß: Ja, das finde ich auch. Für mich ist es ein großes Geschenk, dass das Publikum ganz unterschiedlich an das Stück und an die Katze anknüpfen kann. Beim ersten Publikumsgespräch saß ein grummeliger Mann in der ersten Reihe, dem es wichtig war, zum Ausdruck zu bringen, dass er nicht mochte, was er da gesehen hat. Am zweiten Abend meldete sich einen Mann, der meinte, jetzt würde er sich schon ein wenig wünschen, ein Kater zu werden. Ich glaube für viele Menschen inspiriert das Stück eine schöne Sehnsucht. Ich denke, es kann ein depressives Moment anregen, aber eher löst es Gedanken aus, wie: „Das könnte ich doch auch. Alles anders machen. Ich muss keine Katze werden, aber ein bisschen mehr Sinnlichkeit in meinem Leben? Und vielleicht den Beruf nochmal wechseln, obwohl ich schon vierzig oder fünfzig bin? Das wäre doch eine Überlegung wert.“ 

 

Caren Jeß, geboren 1985 in Eckernförde, hat in Freiburg und Berlin Deutsche Philologie und Neuere deutsche Literatur studiert. Seit Veröffentlichung ihres ersten Stücks 2017 haben ihre Texte einige Preise gewonnen (darunter den Else-Lasker-Schüler-Stückepreis) und wurden unter anderem für den Mülheimer Dramatikpreis nominiert. Ihre Stücke werden an Theatern im In- und Ausland gespielt und wurden ins Türkische, Spanische, Französische, Polnische und Portugiesische übersetzt. Caren Jeß wohnt in Dresden.