Angabe der Person Jelinek


Kritik

„Angabe der Person“, so heißt das 22. Stück Elfriede Jelineks, das zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen wurde. Und wer ist diese Person, um die es hier geht? Genau, Jelinek selbst. Dieses Stück gilt als eines ihrer persönlichsten, denn sie spricht über ihre eigene Familie und die Erfahrungen, die sie mit dem Finanzamt machte. Das Thema scheint auf den ersten Blick eher eintönig zu sein: Steuerfahndung. Doch es ist charakteristisch für einen Jelinek-Text, dass das Thema des Hauptsatzes schon vom Nebensatz verdreht wird. Der Text ist lang, komplex und man wird mit Fragen zurückgelassen. Doch die Frage, wie dieser Text inszeniert werden könnte und was Jossi Wielers Regie zum Text beigetragen hat, kann für den ein oder anderen spätestens nach der Inszenierung beantwortet werden. 

Doch zurück zum Anfang des Abends. Die Mülheimer Stadthalle ist gut gefüllt mit einem gemischten Publikum aus Menschen verschiedener Altersklassen. Schon beim Betreten des Saales fallen vier Dinge auf: das Bühnenbild und die Kostüme (Anja Rabes), die Schauspieler*innen und die Musik. Auch das Licht (Matthias Vogel), das nicht nur dem Publikum, sondern auch im Saal aufgeht. Doch zunächst zur Musik, die von PC Nackt konzipiert und komponiert wurde. Vorne am Bühnenrand steht ein Klavier, das wie von Geisterhand zu spielen scheint. Zunächst leise, während sich das Publikum auf seine Plätze begibt, doch es wird immer lauter und reißt so die Aufmerksamkeit an sich. Es spielt dissonant und unruhig und trägt so viel zur Atmosphäre bei. Nach etwa zehn Minuten dieser, sich stetig steigernden Musik, geht das Licht im Saal aus, beleuchtet ist nur noch das Bühnenbild, eine Konstruktion, die an ein Haus erinnert. Linn Reusse, als Jelinek-Stellvertreterin, mit rötlichen Haaren, Bluse mit Pullunder und Anzughose, nähert sich dem Bühnenrand und KNALL, ihr Ordner landet auf dem Boden, die Musik stoppt und das Saallicht geht wieder an. Die Aufmerksamkeit des Publikums liegt ganz auf ihr. Sie beginnt ihren Monolog und schnell wird klar, wie viel Komik in diesem Stück versteckt ist. Zaghaft, fast schon ängstlich, fangen die ersten Leute an zu lachen. Darf man bei einem ernsten Thema wie der Kritik an Institutionen des Staates lachen? Aber ja, es wird immer offensichtlicher, nicht nur durch den Text selbst, sondern auch dank Reusses Artikulation und humorvoller Gestik, zum Beispiel die pantomimische Darstellung ener Tennisspielerin. Deutlich merkt man, wie sich die Stimmung im Saal auflockert.

Überflüssige Videoprojektionen

Die Aufmerksamkeit, die so mühsam aufgebaut wurde, scheint schon nach einer halben Stunde an ihre Grenze zu kommen und so wird dieser effektive, anfängliche KNALL einfach genauso noch mal wiederholt. Schauspielerinnenwechsel, Fritzi Haberlandt betritt die Bühne. Schon jetzt wird klar, dass dieser lange Monolog nicht nur mit Blick auf die Herausforderung für die Schauspielerinnen auf drei aufgeteilt wurde, sondern auch für die Zuschauer*innen, da ein zweieinhalbstündiger Monolog gesprochen von einer einzigen Person schwer zu folgen wäre. Etwa 45 Minuten später ist dann auch Susanne Wolff als Jelinek an der Reihe. Immer noch wird monologisiert, zwar mit komischen Einwürfen und musikalischer Untermalung, aber es bleibt ein langer Monolog. Auch mediale Spielereien werden eingebaut. Zum Beispiel die Projektionen, die zwar eindrucksvoll aussehen, aber zu dieser Inszenierung nicht viel beitragen. Es funktioniert nur teilweise, dass das Publikum durch solche Brüche aus seiner Müdigkeit gerissen wird. Gerade die Komik, die dem Stück viel gibt, scheint bei dem vergleichsweise jüngeren Teil des Publikums nicht anzukommen.

Das letzte Viertel der Inszenierung ist das dynamischste. Alle drei Schauspielerinnen befinden sich gleichzeitig auf der Bühne in einem wortwörtlichen Zusammenspiel. Die Frauen sprechen nacheinander, miteinander und übereinander. Dadurch entsteht eine einzigartige Vorstellung, die wahrscheinlich auch den Letzten im Saal wieder richtig wach macht. Gegen Ende werden nochmal Kostüm und Requisiten interessant, wenn sich die identisch gekleideten Jelineks quasi zu Puppen verwandeln, indem sie sich wie die Kunst-Puppen auf der Bühne kleiden und sogar deren starre Haltung für einige Momente einnehmen. Der Abend wird geschlossen von Bernd Moss, der als Jelineks Ehemann die gesamten zweieinhalb Stunden auf der Bühne zu sehen ist und nun zum Ende aus dem Text vorliest. Als die Inszenierung zu Ende ist, nimmt man eine Begeisterung im Raum wahr, langer Applaus und sogar vereinzelte stehende Ovationen. Doch wem gilt dies, dem Text oder der Inszenierung? Die drei Schauspielerinnen haben diesen Abend auf ihren Schultern getragen, was man auch den Gesprächsfetzen im Foyer entnehmen kann. Aber auch der Text selber war eindrucksvoll, gerade durch eine gewisse Selbstreflexion, die Elfriede Jelinek hier betreibt.

Ein langes, persönliches Stück mit einer bemühten Inszenierung und außerordentlichen Schauspielerinnen, das wahrscheinlich gerade für langjährige Jelinek-Fans ein Muss ist.