Monolog einer Katze


Kritik

Sprache kann viel bedeuten: Buchstaben auf Papier, der Ausdruck durch Worte oder die Verständigung untereinander. Sprache ist aber vor allem eins – von Menschen, für Menschen. Was geschieht aber, wenn sich der Sprache bemächtigt wird, um genau vom Mensch-Sein abzulassen und eine Selbstverwirklichung als Tier, als Katze, zu vermitteln? Caren Jeß zeigt mit „Die Katze Eleonore“, wie viel die Sprache leisten kann und darf, wenn die Hauptfigur eines Stücks die Identität des Menschen hinter sich lässt. 

Karina Plachetka eröffnet den Abend mit ihrer ausdrucksstarken Präsenz in der Rolle einer Frau, Eleonore Garazzo. Eine Frau, die keine Frau ist und dabei doch spricht, als wäre sie eine. Der Inhalt des Gesprochenen vermittelt den Zuschauer*innen schnell, dass diese Figur nicht gewöhnlich ist. Eleonores Monolog beginnt mit der Offenbarung ihrer Identität als Katze und setzt sich dann in der Artikulation einzelner Worte fort, die Caren Jeß in ihrem Text auf der Seite präsentiert, als wolle sie bereits hier die Agilität der Katze nachahmen. Das besondere Lettering des Texts, die teilweise gänzliche Aufhebung der Satz-Strukturen, bewirkt vor allem eins – das Publikum versteht, dass die Ausdrucksweise einer Katze es eben nicht in sich hat, vom Menschen verstanden zu werden. Sie ist bloß ein schöner Beiklang, der die Grenzen dieser Transformation offenlegt, denn wie Eleonore selbst sagt: die Sprache ist ihr Feind, denn sie ist menschlich. 

Das Schauspiel hingegen zeigt das wahre Ich der Hauptfigur. Eleonore wendet sich, reckt und streckt sich, schmiegt sich an die Möbel des Bühnenbildes (von Max Schwidlinski) und kuschelt sich in das Fell, das auf dem Boden ausgebreitet ist. Vereinzeltes Gelächter der Zuschauer*innen ertönt. Später lacht keiner mehr, denn in der Fortsetzung des Abends wird deutlich, was die Autorin auf der ersten Seite ihres Stücktexts vermerkt: Eleonore ist keine komische Figur.

Kurz verschwindet die Schauspielerin im aufgestellten Kratzbaum. Zurück bleibt ihre Stimme, die von Eleonores Schuld am Tod eines Katzenbabys berichtet. „Liebe Katze, es tut mir so leid, dass ich dir ein Kind genommen hab, aber ich schwöre, versprech dir, ich mach’s wieder gut“, verkündet Eleonore und kehrt zurück auf die Bühne. Spätestens jetzt wird für jeden im Publikum die Ernsthaftigkeit der Transformation deutlich. Eleonore steht vor uns, hat das Kostüm der Immobilienmaklerin abgelegt und verweilt in einem Hauch von Nichts. In ihrer Durchsichtigkeit kommt ihr ganzes wahres Selbst zum Vorschein. 

Eleonores Allnacht

Allnacht: die Selbstverwirklichung bei Nacht, die den Alltag ersetzt. Stille kehrt ein, als Eleonore ihre Allnacht auslebt. Das Spiel wird dafür umso lauter. Eleonores Körperhaltung ist die einer Katze, wenn immer sie sich über die Bühne bewegt oder auf ihren Kratzbaum klettert. Ihre Mimik ist forschend, graziös, wild. Die Inszenierung von Simon Werdelis nimmt sich Zeit, um dem Publikum die Facetten des Lebens einer Katze zu präsentieren, ohne es dabei kommentieren zu müssen. In dieser Zeit wird der Abend für die Zuschauer*innen zu einer 4D-Erfahrung. Der Geruch von Katzenfutter breitet sich aus, als Eleonore eine Dose verspeist. Leicht unangenehm, aber unglaublich passend. Leise, finstere Musik ertönt, als Eleonore durch den Saal tobt, Kissen zerreißt und kurz darauf einen toten Vogel im Maul hat. Leicht befremdlich, aber genau das, was es sein soll. Das Licht scheint kalt auf sie herab, während sie ihre Beute präsentiert. Erschreckend – aber erschreckend gut. 

Im zurückhaltenden Weiß des Bühnenbildes wirkt Eleonores Allnacht umso gewaltiger. Dabei spricht Eleonore immer wieder davon, dass Farbe einer der Aspekte ist, der die Verwirklichung als Katze hemmt. Denn Katzen sehen die Welt ganz anders als Menschen: gräulich, nachts deutlich und vor allem eins – ohne Rot. Doch sobald Eleonore durch ihre Katzenklappe hinter die Bühne verschwindet, sehen wir die Welt durch ihre Augen. Ein Video (Karolina Serafin) wird über die gesamte Bühne projiziert: ein Garten, grünes Gras, begleitet von einer Geräuschkulisse der Natur. „Wo absolutes Sein beginnt, kann Sprache nicht hingreifen“ – einer der Sätze des vorgetragenen Prosatextes, der diese Szenerie begleitet. Am Ende bleibt nur die Farbe. Eine fürchterlicher Rückschlag für Eleonore, als sie die Farbe Rot erblickt. Eine Erinnerung an die Identität des Menschen. Bevor die Bühne schwarz wird, erscheinen letzte rötliche Formen vor unseren Augen. Was uns dieser Appell an die Menschlichkeit mitteilen soll, bleibt offen.