15. Mai 2022 •
In „Monte Rosa“ von Teresa Dopler geht es ums Bergsteigen. Oder? Die Kulisse der Inszenierung des Schauspiels Hannover spricht zumindest stark dafür. Wir sehen den riesigen schwarz gerahmten Bildausschnitt eines Berggipfels. Auf der Leinwand im Hintergrund ziehen Wolken vorbei. Als ein Bergsteiger in voller Outdoor-Montur den Gipfel erklimmt, wirkt das Bild auf der Bühne wie eine theatrale Postkarte, oder eher: wie ein überdimensionales Handydisplay der Zukunft, das uns ein mehrdimensionales Instagram-Panorama anzeigt.
Schon allein das originelle Bühnenbild (Fabian Liszt) kreiert eine spannende Spielsituation. Obwohl das Stück in den Bergen spielt, die man mit Natur, Weite und Freiheit assoziiert, wird uns nur Einblick in einen kleinen künstlich gesetzten Ausschnitt gewährt. Der begrenzte Rahmen kontrastiert die endlose Berglandschaft. Die Figuren treffen sich auf engstem Raum, in dem sie ihre Positionen erst finden müssen.
Treffen sich zwei Bergsteiger
Während der eine Bergsteiger im klischeehaften Messner-Look (Lukas Holzhausen) seine Jodelkünste unter Beweis stellt, erklimmt ein zweiter (Mathias Max Herrmann) den Gipfel. Was folgt, ist ein verkrampfter Smalltalk, der uns sicherlich allen bekannt vorkommt. Habe ich nicht gerade noch ein ähnlich nichtssagendes Gespräch im Foyer geführt? Nur eben nicht im Bergsteiger-Slang. Denn was fragen sich zwei Männer, die sich auf einem Berg begegnen? Na klar: Über welchen Zustieg bist du gekommen? Nach dem obligatorischen Schnack übers Wetter wird schnell ein gewisses Mitteilungsbedürfnis offenkundig, das auch die folgenden Dialoge prägt: Mann betont die besonders gute Kondition, belächelt den Muskelkater des anderen, rühmt sich für das extraordinäre Lungenvolumen und beteuert die Kraft der eigenen Oberarme. Schnell wird klar: Hier begegnen sich zwei Northface-Poser. Der Berg ist ein hartes Pflaster, die Männer konkurrieren um ihre Macht als Gipfelstürmer – bloß keine Schwäche zeigen. Was bereits komisch anfängt, nimmt schnell Fahrt auf. Aus einem ersten skeptischen Begutachten wird ein zaghaftes Herantasten, das schließlich in körperliches Interesse umschlägt: Der eine lobt das Gebiss des anderen, der andere die Beinmuskulatur des einen. Man kommt sich näher. Flirten die etwa? Oder suchen sie tatsächlich nur einen Partner für die bevorstehende Tour?
Unbeholfene Bergsteigerbalz
So oder so: Für ein ordnungsgemäßes Begutachten des Gegenübers müssen natürlich die Hüllen fallen. Und so sehen wir schon kurz darauf zwei Bergsteiger in Unterhosen, wie sie sich unbeholfen betrachten und zaghaft Komplimente aussprechen. Ein ulkiges Bild, das in Kombination mit absurden Dialogen („Hast du ein gutes Gebiss? / Ja, ein sehr gutes. / Das sieht man, du hast kräftige Zähne. / Es ist ein sehr kräftiges Gebiss, steinhart“) an mancher Stelle für Loriot-Momente sorgt.
Die vorübergehende Partnerschaft der Männer nimmt jedoch ein jähes Ende, als ein dritter Bergsteiger (Nikolai Gemel) in die Runde stößt. Er ist jung, sportlich und dynamisch und repräsentiert damit alles, wonach sich die älteren so sehr sehnen, spiegelt ihnen jene vermeintlichen Schwächen, welche sie krampfhaft weglachen. Es wundert also nicht, dass er zum Objekt der Begierde wird und den bestehenden Bund durchquert.
Landschaft voller Metaphern
Dopler kreiert einen Text, der zwar an die konkrete Situation des Bergsteigens geknüpft ist, sich aber trotz - oder gerade wegen - der Absurdität auf unzählige Beziehungen und Lebenssituationen übertragen lässt. So öffnen sich in meinem Kopf jede Menge Tabs mit Schlagwörtern: Jugendwahn, Vergänglichkeit, Machtkampf, Selbstinszenierung, Unverbindlichkeit, Schnelllebigkeit, Identitätskrise, Fitnesswahn. All diese Neurosen werden in dem ungewöhnlichen Setting unter der Regie von Matthias Rippert figuriert. Sei es durch unbeholfene Umarmungen, hysterisches Lachen oder heruntergelassene Hosen. Wie der Dunst über den Bergen legen sich die Themen zwischen die Zeilen, durchsichtig, abstrakt, aber immer da. Musikalisch übersetzt wird dieser Dunst in einen leisen Klangteppich aus Bläsern, der nur hie und da durch das Krächzen eines Vogels gebrochen wird. Oder war das ein Schrei? Ein Schrei der Verzweiflung? Des Todes? Vielleicht. Denn bei all dem Humor liegt auch eine stetige Bedrohung in der Luft, eine Verzweiflung ob der eigenen Unzulänglichkeiten auf der Suche nach der Rolle in der Welt. Ein Schrei, den manche lauter, manche leiser wahrnehmen, aber sicherlich alle kennen – ob Bergsteiger oder nicht.