Ein Tag als Biene


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Im Grunde folgt Schimmelpfennig einer altbekannten Konvention der Kinderliteratur: Ein reales Problem wird auf eine imaginäre Ebene übertragen. In diesem Fall handelt es sich um ein Kind von Alkoholikern – der Info-Text des Consol Theaters spricht von einem Jungen, Schimmelpfennigs Vorlage lässt dies jedoch offen –, welches sich durch einen eigentlich ganz normalen Schultag kämpfen muss. Dafür stellt es sich vor, in einem Computerspiel zu leben, in dem die Herausforderungen des schwierigen Alltags wie „Levels“ bewältigt werden müssen. Ab und an verwandelt sich das Kind im Spiel in die titelgebende Biene – ein Tier, das für Fleiß und Arbeit steht, zwar einen Stachel hat, aber gerade dadurch auch verletzlich ist. Schimmelpfennig hat eine kluge Methode gewählt, die Komplexität des Themas kindgerecht darzustellen.

Erfrischend wirkt dieses Stück jedoch vor allem, weil Schimmelpfennig den Tagesablauf ohne Beschönigungen, aber auch ohne Mitleid schildert. Man hätte keine Bedenken, ein Kind mit ähnlichem Hintergrund in dieses Stück zu setzen. Dies gelingt auch deshalb, weil Schimmelpfennig mit drei namenlosen Figuren (#1, #2 und #3) arbeitet, die die Gedankenströme des Kindes unter sich aufteilen und wie in einem Dialog „besprechen“. Sie adressieren einander immer als „du“ oder sprechen über ein „wir“. Eine Strategie, die eine reine Innenperspektive ermöglicht und eine große Identifikationsfläche bietet, dabei aber gleichzeitig mehrere Perspektiven eröffnet. Die Vielzahl von Stimmen schafft Raum für unterschiedliche Interpretationen. Was macht nun Andrea Kramers Inszenierung damit?

Text und Tanz

Vor einem spärlichen Bühnenbild wird schnell klar, dass Kramer vor allem auf die Kraft von Text und Choreographie setzt. Das geht auf. Die Tanzeinlagen sind zunächst überraschend, schenken der Inszenierung aber eine andere Reflexionsebene und bringen auch humorvolle Elemente mit ins Spiel. So wird das Erlebte nicht nur auf der verbalen, sondern auch auf der körperlichen und tänzerischen Ebene dargestellt und kommentiert. Vor allem werden so auch Gefühle zum Ausdruck gebracht, die in dem minimalistischem Text kaum vorhanden sind. Schauspieler Manuel Moser, Eric Rentmeister und Hinnerk Schichta eröffnen das Stück mit einer Choreographie, die schon leicht an einen Bienenflug erinnert. Erst nach Ende der Choreographie begeben sie sich zu dritt in das schmale Bett, um als Biene in Level 1 aufzuwachen, wo sie das Fliegen erproben müssen. Auch dies geschieht tänzerisch.

Von Level zu Level

Erst als der Bienenflug mit der Landung in einer durch Rotlicht dargestellten „Blüte“ endet, versteht das Publikum die Sache mit dem Computerspiel – Level 1 ist mit der Blütenlandung geschafft. An der Decke blinkt nun – als gelber Ring – die Sonne: Wir befinden uns im nächsten Level. Im Gegensatz zu Level 1 ist Level 2 kein „Bienen-Level“. Hier müssen menschliche Probleme gelöst werden: Hose und Frühstück finden, ohne die Eltern zu wecken und dann schnell in die Schule!

Der Wechsel zwischen Bienenperspektive und menschlicher Sichtweise in den verschiedenen Levels setzt sich ebenso fort wie die Gefahren, auf die #1, #2 und #3 treffen. So endet der Schulbesuch in Gestalt der Biene beinahe tödlich – was fuchtelnde Mitschülerhände und Klassenzimmergerangel für ein Insekt eben so bedeuten können. Auch das darauffolgende Level, der Heimweg im Regen, der wieder aus Menschenperspektive geschildert wird, birgt Gefahren: Es müssen eine Einladung des gruseligen „Seemanns“ abgelehnt und ein Angriff zwei gemeiner Brüder abgewehrt werden. Endlich zuhause angekommen, passenderweise nach einer Choreographie zu einer Instrumentalversion von Woodkids dramatischem „Run Boy Run“, stehen die Bemühungen um ein Abendessen auf dem Programm.

Im Laufe der Aufführungen bauen die Schauspieler immer wieder mit einfachen Handgriffen das Bühnenbild um. Unter der Bettdecke verbirgt sich ein Laufband, das in den Choreographien genutzt wird und das Essen aus der Mikrowelle liefert. Auch die grüne Plattform am hinteren Bühnenrand wird mehrmals in verschiedene Schauplätze verwandelt. Auch wenn dies aus Erwachsenensicht nicht unbedingt zum Gelingen der Inszenierung nötig gewesen wäre, scheint es bei den Kinder gut anzukommen: Im Publikumsgespräch werden viele, auch technische und praktische Fragen zu diesem Thema gestellt.

Ein Hoffnungsschimmer am Ende

Eigentlich bietet der ganz schön mies verlaufende Tag weder dem Kind aus dem Stück noch dem Publikum Aussicht auf Besserung. Um dies zu ändern, gibt es im letzten Level beim Einschlafen Besuch von der Bienenkönigin. All die vermisste Zärtlichkeit, Kommunikation und Fürsorge kommen von ihr. Dass vorher etwas gefehlt hat, wird durch ihre Präsenz zum ersten Mal deutlich ausgesprochen. Erst jetzt wird der Versuch gemacht, Gefühle zu verbalisieren. Das ist schon nicht einfach, aber überfordert sind #1, #2 und #3 vor allem mit dem Lob der Bienenkönigin. Gerade deswegen ist die Botschaft „Du bist besonders und du kannst etwas, was andere nicht können, auch wenn du noch nicht weißt, was genau es ist“ wichtig. Trotzdem wirkt die direkte Ansprache des Problems bereits im Stücktext, der sonst sehr flüssig zu lesen ist, leicht holprig. Auch die Inszenierung ändert das nicht. Gelungen ist jedoch wieder der Rückgriff zum Anfang: Der Tag endet, wie er begonnen hat, als Biene. Ob mit wirklich mehr Hoffnung als zuvor bleibt offen.