In den Alpen
Ein Bergsteigerdrama gab es bei den Mülheimer Theatertagen noch nie. In diesem Jahr aber ist es soweit: Mit „Monte Rosa“ von Teresa Dopler ist ein Stück nominiert, das tatsächlich von Bergsteigern in den Alpen handelt. Outdoor-Fanatiker werden damit allerdings wenig anfangen können. Es geht nämlich gar nicht um die Berge; die Alpen sind nur das Setting für ein Experiment, in dem die Autorin ihre drei namenlosen Figuren (A, B, C) wie Versuchstiere aufeinandertreffen lässt. Ganz genau beobachtet Dopler, wie sozial – oder eher asozial – sie sich verhalten.
In extrem knappen Dialogen beweist die Autorin feines Gespür für Sprache und einen scharfen Blick für die Gesellschaft. Die 1990 geborene Oberösterreicherin Teresa Dopler lebt in Wien, wo sie Schreibkunst und Theaterwissenschaft studiert hat. Für ihr drittes Drama, „Das weiße Dorf“, gewann sie 2019 beim Heidelberger Stückemarkt den Autor*innenpreis; mit dem extra trockenen Zweipersonenstück um ein Ex-Paar, das sich auf einer Kreuzfahrt wieder begegnet, schlug Dopler einen stilistischen Weg ein, den sie auch im Folgewerk „Monte Rosa“ beschreitet. 2019 wurde ihr dafür das vom Land Niederösterreich vergebene Peter-Turrini-DramatikerInnenstipendium zugesprochen; die damit verbundene Uraufführung fand im Frühjahr 2021 in St. Pölten statt.
In der deutschen Erstaufführung, die Matthias Rippert Ende des Jahres in Hannover inszenierte, kommen die Qualitäten des Stücks besonders gut zur Geltung. Die Bergsteiger sind nicht nur an den satten Primärfarben ihrer Funktionskleidung, sondern auch an ihren Dialekten einwandfrei zu unterscheiden. A (Lukas Holzhausen) ist Schweizer, B (Mathias Max Herrmann) ist Deutscher, und dass C (Nikolai Gemel) aus Wien stammt, ist nun wirklich nicht zu überhören. Die Gletscher sind abgeschmolzen, die Berggipfel bröckeln, Steinschlag ist zum echten Problem geworden: Klimawandel und Öko-Krise sind das Hintergrundrauschen des Stücks. Die Protagonisten scheinen allerdings nichts davon zu bemerken. Überhaupt ist es befremdlich, wie empathielos die Menschen in diesem absurden Theater agieren. Wird ein Kletterpartner von einem herabfallenden Stein getroffen, ist das kein Grund, Hilfe zu leisten und sich den Spaß verderben zu lassen: „Alles in allem war es trotzdem eine herrliche Klettertour.“
Diese schrulligen Bergkameraden sind beinharte Einzelkämpfer, Partnerschaften gehen sie ausschließlich als Zweckgemeinschaften ein. Und doch ist es immer wieder auch sehr komisch, wie sich in den Köpfen dieser Männer sehr langsam Gedanken manifestieren, bis irgendwann der Groschen fällt. Und es gibt ja so viel zu entdecken! Einmal findet B ein Fossil, das er als versteinerte Muschel identifiziert. A findet das ausgesprochen interessant, kann mit „Muschel“ aber irgendwie nichts anfangen: „Hast du das Wort erfunden?“ „Monte Rosa“ ist kein Bergsteigerdrama. Aber manche Dialoge lassen sich nur dadurch erklären, dass die Luft dort oben ganz schön dünn sein kann.
Wolfgang Kralicek