29. Mai 2021 •
In jedem Jahr gibt es ein Projekt von Studierenden der Szenischen Forschung der Ruhr-Universität Bochum, die einen der nominierten Stücktexte der Mülheimer Theatertage als Grundlage für eigene Ideen verwenden. In diesem Jahr haben Alina Buchwald, Gabriel Caneiro und Mara Henni Klimek, inspiriert von Ewe Benbeneks „Tragödienbastard“, eine Installation und eine Videoarbeit mit dem Titel „KLACK KLACK BÄM“ entwickelt. Im Zentrum ihrer Arbeit: der High Heel. Warum sie sich für eine Auseinandersetzung mit Benbeneks Stück entschieden haben und welche Gedanken(spiel-)räume der High Heel eröffnet, erzählen zwei der Studierenden im Interview mit Hanna Bartels und Clara Werdin.
Blog: Ihr konntet aus allen in diesem Jahr nominierten Stücken wählen und habt euch entschieden, eine eigene kreative Arbeit zu Ewe Benbeneks „Tragödienbastard“ zu machen. Warum gerade dieses Stück?
Mara: Bei unseren Gesprächen zu dritt hat am Anfang vor allem Alina gesagt, dass sie am liebsten zu „Tragödienbastard“ arbeiten würde. Sie hatte auch direkt die Idee mit den High Heels. Hoch im Kurs stand aber zum Beispiel auch das Kinderstück „Löwenherzen“ von Nino Haratischwili. Dass wir uns letztendlich aber für das Stück von Ewe Benbenek entschieden haben, hatte zwei Gründe. Zum einen hat das Stück eine eigene rhythmische Dynamik und spielt mit Soundmalerei, was uns sehr angesprochen hat. Eben dieses „Klack Klack Bäm“, wonach wir unsere Installationen sogar benannt haben. Der zweite Aspekt war das Thema der Bodenaneignung. Das war für uns drei Studierende, die bei diesem Projekt zusammengekommen sind, ein gemeinsamer Nenner. Vor allem Gabriel beschäftigt sich viel mit diesem Thema.
Gabriel: Ich finde den Begriff „Boden“ gerade in der Bedeutung von „Land“ und „Kultur“ interessant. Menschen, die an einem Ort beziehungsweise auf einem Boden leben, werden ja auch ähnlich sozialisiert, es entstehen Gruppen und bestimmte Regeln, wie man sich auf diesem Boden fortbewegt. Deshalb hat sich Benbeneks Stück, in dem sie auch das Thema Boden verhandelt, sehr angeboten.
„erst einmal einen Bodenzu bekommen / einen Boden / von dem aus man anfangen kann / einen Boden / auf dem man stehen kann / einen Boden / ohne Angst / einen Boden / ohne die Angst / dass er verschwinden könnte / der Boden / auf dem man steht / auf dem man sicher stehen kann / einfach so."
EWE BENBENEK
Blog: Wie war dann der Prozess der Ideenfindung?
Gabriel: Uns waren unterschiedliche Dinge wichtig. Ich wollte das Thema „Boden“ und „Bodenbegehung“ zum Beispiel durch ein Video aus der Froschperspektive festhalten. Das heißt, man ist mit der Kamera beim Filmen kurz über dem Boden und nimmt quasi den Blick des Frosches bzw. die Perspektive des Bodens ein.
Mara: Und mir waren vor allem die Sounds wichtig. Das „Klack Klack“ der High Heels und wie sich das Geräusch auf unterschiedlichen Bodenbelägen verändert. Beim Gehen in High Heels ist jeder Schritt laut, man zieht Aufmerksamkeit auf sich. Alina hingegen arbeitet schon lange mit Vibrationen und Vibrationsmotoren und hatte deshalb die Idee mit den „selbstfahrenden“ High Heels. So sind die zwei Werke entstanden: einmal die Videos, in denen wir in High Heels durch die Stadthalle und das Theater an der Ruhr gehen. Und dann die weiße, runde Platte, auf der die High Heels sich, sobald wir sie auf dem Boden abgesetzt haben, von selbst bewegen und Spuren hinterlassen.
Blog: Gabriel und Mara, ihr seid beide in dem Video zu sehen. Wie war es, in High Heels durch die verschiedenen Spielorte des Stücke-Festivals zu laufen?
Mara: Ich fand es richtig schön, mal wieder durch diese Theaterräume laufen zu können. Dieser Magic Moment, wenn man die Tür aufmacht und plötzlich in diesem roten Zuschauerraum steht. Das war und ist gerade ja noch in gewisser Weise „verbotener“ Boden, den wir da betreten haben. Die Spielstätten sind durch die Pandemie für dieses Festival geschlossen geblieben.
Gabriel: Hinzu kam das Tragen der High Heels, durch die man im Gehen und in der Körperhaltung beeinflusst wird. Man ist wie ein Apparat oder ein Roboter gegangen. Das Gewicht liegt nicht mehr auf dem ganzen Fuß, sondern ist auf die Zehenspitzen verlagert. Ich würde die Erfahrung als schmerzhaft beschreiben.
Mara: Dabei konnte Gabriel wirklich gut auf den High Heels laufen. Von uns dreien am besten! Beim Gehen fand ich auch die unterschiedlichen Bodenbeläge spannend. Angefangen beim Kopfsteinpflaster über den Fußabtreter auf den glatten Boden in der Halle und dann diese dumpfe Stille, wenn man den Zuschauerraum betritt. Jeder Raum war irgendwie besonders und auf seine eigene Art gefährlich, weil man nie sicher steht. Beim nassen Kopfsteinpflaster hatte ich Angst auszurutschen. Und der Fußabtreter im Ringlokschuppen war so weich, dass ich befürchtete, umzuknicken. In diesen Schuhen hatte ich einfach keinen Halt und konnte mich nicht sicher, also wie gewohnt, bewegen. Dadurch habe ich mich fremd im eigenen Körper gefühlt.
Blog: Der High Heel ist ein Schuh, der traditionell für Frauen entworfen wurde und beworben wird. Er macht die Person, die ihn trägt, größer, lauter und auffälliger. In gewisser Weise stellt er die Person aus. Gleichzeitig entfremdet der High Heel den gewohnten, natürlichen Gang, indem er das Gehen behindert. Kann man den High Heel daher als antifeministisch beschreiben?
Mara: Ich würde niemanden, der oder die High Heels trägt per se als „antifeministisch“ beschreiben, allein schon weil ich es doof finde, Menschen vorzuschreiben, was sie tragen dürfen und was nicht. Eine Freundin von mir trägt beispielsweise hohe Schuhe, wenn sie sich selbstbewusster und einfach gut fühlen möchte. Trotzdem frage ich mich, inwiefern das Tragen von High Heels „Empowerment“ bedeuten kann oder ob ich durch das Tragen dieser Schuhe nur ein gewünschtes Bild reproduziere, das ich erlernt habe. Ich denke dabei an das Bild der verführerischen oder erfolgreichen Frau. Inwieweit kann es „empowernd sein“, wenn ich in den Schuhen nur rumstehen kann, in meinen Bewegungen eingeschränkt bin und ausschließlich gut aussehe? Für mich wäre es sehr wichtig, diese Klischeebilder, die sich an diesen Schuh anschließen, aufzubrechen und zu dekonstruieren.
Gabriel: Meiner Meinung nach ist der Kapitalismus an sich antifeministisch, da er die Komplexität von Menschen, häufig Frauen, auf ein bestimmtes Äußeres zu reduzieren versucht. Schuhe sind verkaufbare Produkte und vereinen, wie so vieles, die Widersprüche, die eine kapitalistische Gesellschaft prägen. Wer entwirft diese Schuhe überhaupt? Und für wen? Diese Fragen muss man auch im Laufe der Geschichte betrachten. Ich habe mich zum Beispiel gefragt: Wenn High Heels primär für weiße Frauen entworfen worden sind, welche Wirkung wird dann hervorgerufen, wenn zum Beispiel ich als Mann High Heels trage – als Person, für die sie in erster Linie nicht gedacht waren. Ist das dann Empowerment? So oder so: Durch das Tragen von High Heels wird eine Reaktion erzielt. Und das hoffen wir, auch mit unserem Projekt zu Ewe Benbeneks Stück zu schaffen. Die Ausstellung des Schuhs, der wiederum seine Trägerin ausstellt, soll zum Nachdenken anregen.