27. Mai 2021 •
Geschrieben hat Ewe Benbenek schon immer gerne, aber eher für sich und nicht mit dem Ziel, daraus etwas Professionelles zu machen. „Das war eine Entscheidung“, erklärt sie. Doch diese Entscheidung fiel bei Ewe Benbenek etwas später im Leben als bei vielen anderen Autor*innen. Was hat dann den Ausschlag gegeben, sich ganz dem Schreiben zu widmen? Es war eher ein Prozess: Schon während ihres Studiums der Kulturwissenschaften in Frankfurt an der Oder befasste sie sich mit postmigrantischer Literatur, dann arbeitete sie in Hamburg als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Germanistik. „Ich habe angefangen, mir alle Gedanken, die man im Wissenschaftlichen so nicht schreiben darf, privat zu notieren“, sagt sie und lacht. So zog es sie immer mehr in die Welt des freien Schreibens.
Ewe Benbenek ist Ende der 1980er Jahre mit ihren Eltern aus Polen nach Deutschland gekommen, sie gehört der sogenannten zweiten Generation an und kam nicht einfach so auf die Idee, Autorin zu werden. „Autorin sein war für mich etwas, das mir als junger Mensch total fern lag. Es lag mir fern, mir vorzustellen jemand zu sein, die eine Stimme hat und rezipiert, gelesen und gehört wird!“ Das ist nämlich – und darüber redet sie offen und ehrlich – ein Privileg und ein Risiko. „Tragödienbastard“, eine autofiktional-mehrstimmig-chorisch angelegte Tragödie, bei der es unter anderem um die kritische Reflektion des weinroten, deutschen Reisepasses geht, ist Ewe Benbeneks erstes Theaterstück. Sie hat es entwickelt im Rahmen des Arbeitsateliers beim Drama Forum von uniT in Graz und mit dem Schauspielhaus Wien.
Eine Entscheidung gegen gewisse Standards
Auch, wenn es bei ihr geklappt hat, ist es mit über 30 Jahren oft nicht leicht, eine Möglichkeit der Förderung zu finden. Dies findet Ewe Benbenek schade. Sie spricht lange über die Dinge, die ihr in diesem Alter bereits im Weg standen. Warum es nicht einfach war, sich im Anschluss an die Arbeit an der Uni in Hamburg dafür zu entscheiden, sich der literarischen Schreibpraxis zu widmen: „Es ist erst einmal auch eine finanzielle Entscheidung, und es ist nicht leicht, sich in dieser Lebensphase gegen gewisse Standards zu entscheiden.“
Es ist gut, dass jemand mal klar darüber redet, was für eine andere Entscheidung es ist, Autorin zu werden, wenn man keine finanziell unterstützenden Akademikereltern im Hintergrund hat. Wir sprechen über Ressourcen, immer wieder geht es um Ressourcen, die man hat, oder eben nicht. Ob man nun Arbeiterkind sei, eine Behinderung habe oder etwas anderes. Es gibt viele Gründe, warum etwas nicht so schnell und so langweilig geradeaus geht, aber im Kulturbetrieb gibt es noch immer zu wenig Verständnis dafür. Wir sprechen darüber, wie gut Umwege sind, da sie einen am Ende doch um die Erfahrungen reicher machen, die für eine Autorin wichtig und unabdingbar sind. Erfahrungen, die unser Kulturbetrieb zulassen muss, um ein wirklich diverseres Bild zu zeichnen und nicht bloß Dinge zu versprechen, die nach außen schön aussehen. Für Ewe Benbenek, die an der Uni auch zukünftige Lehrer*innen ausgebildet hat, ist es auch wichtig, dass sich am veralteten Kanon im Deutschunterricht etwas ändert und dort mehr postmigrantische Stimmen zu hören sind.
Ein neues Stück über Säfte
Dann erzählt Ewe Benbenek vom Schreiben. Erstmal von „Tragödienbastard“, ihrem ersten Stück und seiner Entwicklung. Dass es auch gut war, in eine Stück-Entwicklung an einem Haus, dem Schauspielhaus Wien, hineinzugehen, da man dort natürlich an ein ganzes Netzwerk angebunden ist. Jetzt gerade macht sie eine andere Erfahrung. Sie schreibt frei und selbstorganisiert an einem neuen Werk. Es heißt „Juices“. Säfte. Worum geht es darin? Mag sie darüber schon etwas erzählen? Ewe erklärt gerne: Es geht um Säfte, wie der Titel schon sagt. Es geht um eine Vielfalt an Säften. Um Alltags-Säfte, Putzmittel, Wasser, Pussy-Säfte, Säfte, die in Verbindung mit dem Thema Gastarbeit stehen und sehr assoziativ miteinander verbunden sind. Ewe Benbenek erzählt von ihrer Mutter, die, als sie nach Deutschland kam, putzen musste. Ihr Stück diskutiert die Generation der GastarbeiterInnen, die gekommen sind und sich hier etwas aufgebaut haben, aber auch um die ihrer Kinder, Ewe Benbeneks Generation. Während sie spricht, denke ich an Hände, immer wieder an die Hände jener slowakischen Putzfrau, die man besser Reinigungskraft nennt, die bei meiner Oma putzte, Jahre lang. Ich habe als Kind fasziniert auf ihre Hände geschaut, die von chemischen Säften gezeichnet waren. Handschuhe brachten da nicht viel. „Juices“ löst Bilder im Kopf aus.
In der Zukunft kann Ewe Benbenek sich vorstellen, sich auch mit anderen literarischen Gattungen zu befassen. Doch sie mag das Theater. Schon in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit setzte sie sich bereits mit Theater, unter anderem mit der antiken Tragödie, auseinander. Und besonders mag sie das Schreiben. Selbst Regie führen will sie vorerst nicht. Für sie ist es momentan vollkommen in Ordnung, ihr Werk abzugeben, sodass jemand anderes etwas daraus macht. Zu Florian Fischers Inszenierung sagt sie: „Das Schreiben ist mein Ding. Das Geschriebene ist mein Kunstwerk und die Inszenierung Florians Kunstwerk.“
Armee aus postmigrantischen Göttinnen
Ewes Benbeneks Grundlage ist die Sprache. In „Tragödienbastard“ ist ein vielfältiger Chor aus verschiedensten Stimmen maßgeblich, die bestimmte Menschen repräsentieren, aber auch Gesellschaftsstimmen und Mediendebatten rund um das Thema Gastarbeiterkinder. Und auch in „Juices“ soll Sprache im Mittelpunkt stehen: Es gibt keine eindeutigen Protagonist*innen, keine klare Figurenentwicklung. Die Autorin fängt unsere Welt so mehrstimmig auf, wie sie eben ist, wenn man auf die Straße tritt, mit Freund*innen kommuniziert, den Computer oder das Smartphone anschaltet. Und im Stück „Tragödienbastard“ hat Ewe Benbenek sich geradezu eine Armee aufgebaut. Es ist eine Armee aus postmigrantischen Göttinnen, deren Stimmen sie als Autorin unterstützen. „Denn man braucht ein Netzwerk. Gerade bei diesem ganzen Individualismus ist das einfach sehr empowernd“, sagt sie.