Vom Vergessen rechten Terrors


Kritik

Was passierte am 26. September 1980 in München? Stelle man diese Frage auf dem Marienplatz in München „Ich gebe Ihnen Brief und Siegel drauf, dass von zehn Personen, achte mit der Schulter zucken“, heißt es im Theaterstück „26/9 – Das Oktoberfestattentat“ von Christine Umpfenbach. Dabei sollten es eigentlich alle Münchener:innen - alle Deutschen wissen. Denn am 26. September 1980 ereignete sich der schwerste rechtsextreme Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Das Rechercheprojekt von Christine Umpfenbach, uraufgeführt bei den Münchner Kammerspielen, eröffnet das Stücke Festival 2021. Die Inszenierung unter Umpfenbachs Regie nimmt die Zuschauenden im Stream mit auf eine Reise in die 1980er Jahre. Vokuhila, Dauerwelle und Haarspray. Bomberjacken, bunte Jogginganzüge, Metallic. Euro Disco und New Wave. Queen und Michael Jackson. Mit diesen Assoziationen beginnt auch das Stück. Die Darsteller:innen tanzen zu „Daddy Cool“, listen Ereignisse und Menschen auf, die sie mit den 80ern verbinden. Mit Trainingsanzügen, Metallic Jacken und Glitzer-Outfits hat Kostümbildnerin Pascale Martin die Zeit schrill und authentisch auf die Bühne gebracht.

Die Nostalgie an eine lang vergangene Zeit mit verrückten Outfits und cooler Musik geht schnell in Betroffenheit über. Eine Betroffenheit darüber, dass wir mit der Zeit nicht das Oktoberfestattentat am 26. September 1980 verbinden. Das gilt auch für die fünf Schauspieler:innen Rasmus Friedrich, Marie Dziomber, Stefan Merki, Edith Saldanha und Lilly-Marie Vogler. Nur eine von ihnen hatte vor der Produktion von dem Oktoberfestattentat gehört. Eine von fünf.

Der Anschlag und die Einzeltätertheorie

Bewegend erzählen die Schauspieler:innen die Ereignisse aus der Perspektive der Überlebenden. Vom Besuch des Oktoberfests bis zu dem Moment, als die Bombe explodierte. Doch statt eines zu erwartenden lauten Knalls ist es ruhig auf der Bühne. Eine unerträgliche Stille und Dunkelheit, die die Tragik des Moments unterstreichen. Es folgen die Berichte darüber, was nach dem Anschlag passierte. 221 Menschen waren verletzt, 13 Menschen tot – inklusive des Täters. Gundolf Köhler hatte die Bombe gezündet. Er war Mitglied der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann, eine Gruppe, die der damalige Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerkandidat Franz-Josef Strauss als ungefährlich einstufte. Die Tatsache, dass hinter der Tat rechtsextreme Gruppen steckten, wurde abgewehrt. Es blieb die Einzeltäter-Theorie, obwohl der Überlebende Hans Roauer, gespielt von Edith Saldanha, den Täter kurz vorher noch mit anderen Menschen an einem Auto hatte diskutieren sehen. Doch dem einzigen Zeugen glaubte niemand.

Das Stück begleitet die Geschichte der Überlebenden weiter, wie sie mit ihren körperlichen und seelischen Schmerzen alleine gelassen wurden. Die Ermittlungsverfahren wurden eingestellt, Beweise vernichtet, die Verletzten als Simulant:innen dargestellt. „Es kann einen schon wütend machen, dass es immer noch so ist, dass Leute in Machtpositionen so rechte Gewalt weg ignorieren“, fasst es Umpfenbachs Stück beinahe ironisch zusammen.

Wie das Verbrechen weg ignoriert wurde, sieht man in den Reaktionen der Verantwortlichen: Der Tatort war am nächsten Morgen neu geteert – in der Inszenierung ironischerweise von Strauss selbst, dargestellt durch einen Schauspieler mit Pappmaske. Einen Granitblock mit dem Schriftzug „Dem Naziterror Einhalt gebieten. Wir gedenken der Toten von München“, entfernte die Stadt kurzerhand. Ein falsch geschriebener Name eines Todesopfers auf dem Erinnerungsdenkmal korrigierte sie erst nach 31 Jahren. Nach 36 Jahren lud die Stadt die Überlebenden zum ersten Mal für ein Gespräch ein.

Fokus auf dem Text

Die Inszenierung kreiert eine beklemmende Stimmung, die sich mitsamt dem Gänsehautgefühl durch die ganze Vorstellung zieht. Allerdings vor allem getragen durch den Text. Die Berichte der Zeitzeug:innen nehmen einen als Leser:in des Stücks gleichermaßen mit wie als Zuschauer:in. Deshalb funktioniert auch die Inszenierung mit einem schlichten Bühnenbild und wenig spielerischen Elementen – denn der Fokus liegt auf den Worten. Das Mitgefühl mit den Opfern und Überlebenden, gemischt mit einem Schock und einer Wut über die Politik, die Ermittler:innen vom LKA und Ärzt:innen erhalten die Spannung vom Beginn bis zum Schluss aufrecht.

Christine Umpfenbach hat ein wichtiges Stück Zeitgeschichte aufgearbeitet, mit dem sie grausame Wahrheiten aufdeckt. Rechtsextremismus wurde in Deutschland so wegignoriert, dass 40 Jahre später die Mittäter:innen immer noch nicht gefasst wurden und es keine Gerechtigkeit für die Überlebenden gibt. „26/9 – Das Oktoberfestattentat“ zeigt, dass solche Attentate nicht in Vergessenheit geraten dürfen – denn die Ignoranz schafft Räume für weitere Attentate wie den NSU, Halle oder Hanau. Das Stück erzählt die Geschichte des fast vergessenen Oktoberattentats, erzählt von dem Wunsch der Überlebenden, die Mittäter:innen zu finden, um das Bewusstsein über das Oktoberfestattentat in der Gesellschaft zu verankern.  „Sowas gehört eigentlich in die Geschichtsbücher mit hinein“, sagt der Überlebende Hans Roauer. „Und dafür kämpfe ich“.