Sehr geehrte Damen und Herren,
verehrte Oberbürgermeisterin Mühlenfeld,
liebe Stephanie Steinberg,
liebes Festivalteam,
vielen Dank für die Einladung, hier und heute Yael Ronen und ihr Ensemble zu preisen, was ich außerordentlich gern tue, weil ich es mit Überzeugung tun kann.
Und an die Adresse der leider abwesenden, weil viel beschäftigten Künstler: Herzlichen Glückwunsch zum Publikumspreis der Mülheimer „Stücke“ 2015, der zwar undotiert ist, dafür aber natürlich der heimliche Hauptpreis des Festivals. Schließlich hat das Publikum mit seinem Zuspruch oder seiner Ablehnung im Theater immer recht, oder jedenfalls meistens.
Meine eigene Begeisterung für die Arbeit von Yael Ronen hat mit einer verkorksten Entschuldigung für den Holocaust begonnen.
Der Schauspieler Nils Bormann, als Typ linksbewegter Hanswurst mit gesinnungsgerechtem Palästinenser-Schal, ergreift zu Beginn des Stücks „Dritte Generation“ die Gelegenheit, die Nazivergangenheit im Schnelldurchgang aufzuarbeiten. Er möchte sich bei allen Anwesenden, besonders natürlich den Juden, „im Namen des deutschen R-, der Bundesrepublik, von Deutschland, als Mensch, als deutscher Mensch, entschuldigen für das, was unter Adolf Hitler passiert ist“.
Und das ist nur der Auftakt einer performativen Gruppensitzung, in der sich junge Israelis, Palästinenser und Deutsche die wechselseitigen Vorurteile, Zerrbilder und Befangenheiten auf groteske und zugleich tief bewegende Weise um die Ohren hauen. Welchen peinlichen Krampf das Schuld-Bewusstsein einer deutschen Enkelgeneration in der Begegnung mit Israelis gleich welchen Alters produzieren kann, das wusste ich. Aus eigenem Erleben. Welche krampflösende Wirkung eine tabublinde Komik wie die von Yael Ronen im Theater haben kann, das war mir neu.
Zwischen „Dritte Generation“ und „Common Ground“ liegen sechs Jahre, in denen sich Yael Ronen – heute Hausregisseurin am Gorki Theater Berlin – einen Namen als begabteste Konfliktzonen-Spezialistin und Trauma-Therapeutin des Theaterbetriebs gemacht hat. Ihre Themen sind Völkermorde, Bürgerkriege, religiöser Wahn, das Ringen um Gerechtigkeit oder auch die erotische Flaute, in die eine langjährige Beziehung driften kann. Die Krisen jedweder Couleur, ob sie Welten- oder Wohnzimmerbrände entfachen, nimmt die Künstlerin mit der gleichen Unerschrockenheit, Ironiebegabung und Ernsthaftigkeit ins Visier.
Zusammen mit ihrem jeweiligen Ensemble, versteht sich. Bitte denken Sie das Team immer mit, wenn ich von der Künstlerin spreche. Ronen ist als Regisseurin ja keine Ego-Shooterin. Ihre besten Arbeiten – und dazu zählt „Common Ground“ – entstehen in einem aufwendigen Recherche- und Entwicklungsprozess mit den Schauspielerinnen und Schauspielern, die ihre eigenen Ideen und vor allem ihre eigenen Biografien in den Pool an Material einbringen, aus dem Ronen schließlich das Stück formt.
Denn natürlich – darüber ist hier in Mülheim ja diskutiert worden – ist „Common Ground“, obwohl von dokumentarischer Qualität und wesentlich aus den Geschichten der Protagonisten entwickelt, ein Theaterstück. Mit Dialog und dramatischem Bogen. Die Frage der Nachspielbarkeit hinge wohl davon ab, ob eine oder einer die Chuzpe hätte, sich mit Yael Ronens forschender Beharrlichkeit messen zu lassen.
Eine von Ronens größten Qualitäten ist ja, dass sie den Konflikten auf den Grund geht, bis zum dreckigen Wurzelwerk, während es vielen schon genügt, auf ihrer Oberfläche Pirouetten zu drehen. Und dass sie auch dort keine Ruhe gibt, wo die Lage schmerzhaft kompliziert zu werden droht.
Als der Bosnienkrieg begann, war Yael Ronen Journalistin beim israelischen Armee-Radio. In einem Gespräch zu Zeiten der „Common Ground“-Proben hat sie erzählt, wie ein Freund von ihr für eine Reportage nach Jugoslawien reiste. Und wie er nach seiner Rückkehr darum kämpfen musste, seinen Beitrag überhaupt unterzubekommen. Eine der Tragödien dieses Krieges war es in Ronens Augen, dass es so lange kein Interesse an ihm gab.
Erst als 1995 die Gräuelbilder aus Srebrenica ans Licht kamen, wurde die Weltöffentlichkeit aufmerksam. Was aber nichts daran änderte, dass der Konflikt, in dem es kein klar trennbares Gut gegen Böse zu geben schien, für die meisten undurchschaubar blieb. Ein Satz, auf den Ronen und ihr Team bei der Recherche immer wieder stießen: „Es ist kompliziert“. Damit haben sich die meisten von uns bis zum heutigen Tag zufrieden gegeben. Yael Ronen nicht.
„Common Ground“ macht das vermeintliche Chaos auf dem Balkan andockfähig. Der Krieg hat sich ja nicht nur auf unserem gemeinsamen europäischen Boden ereignet, eine Flugstunde von München entfernt. Sondern auch auf einem popkulturellen Grund, der über die Grenzen hinweg prägend war. Was die Inszenierung mit einem furiosen Schlagzeilen-Sprint durch die 90er verbildlicht: Steffi Graf siegt in Wimbledon, Kroatien und Slowenien erklären ihre Unabhängigkeit, Roter Stern Belgrad gewinnt gegen die Bayern im Europapokal der Landesmeister, der Bosnienkrieg bricht aus, „Basic Instinct“ kommt in die Kinos, die Belagerung Sarajewos beginnt.
Auf der Bühne suchen dazu sieben Menschen ihren „Common Ground“. Eine Israelin, ein Deutscher und fünf Schauspielerinnen und Schauspieler aus dem ehemaligen Jugoslawien, die in den 90ern nach Deutschland gekommen sind. Darunter zwei Frauen, die aus derselben bosnischen Stadt stammen. Der Vater der einen hat während des Krieges in einem Konzentrationslager gearbeitet, in dem der Vater der anderen mutmaßlich umgebracht wurde. Ob das nun 1 zu 1 wahr ist, spielt keine Rolle. Dass sich die Kinder der Opfer und der Täter im Theater begegnen können, ist verwirklichte Utopie. Und bei Ronen eben kein Angebot an den Versöhnungskitsch, vielmehr Ausdruck eines unsentimentalen Humanismus. Ein Miteinander ist immer möglich.
Wobei sich die Regisseurin ja nicht der Illusion hingibt, dass sich ein wechselseitiges Verstehen leicht herstellen ließe. Aber sie hat eben keine Angst vor den Mühen der Verständigung. Auch nicht, wenn es um die eigene Familie geht. In „Hakoah Wien“ hat sich Ronen 2012 – mit ihren Bruder Michael als Schauspieler auf der Bühne – mit der Geschichte ihres Großvaters auseinander gesetzt, der bis zum Beginn des Naziterrors Spieler bei einem jüdischen Fußballverein in Österreich war und der mitgeholfen hat, den Staat Israel aufzubauen. Jenen Staat, in dem viele aus der Generation von Yael und Michael Ronen heute vor der Frage stehen: Gehen oder bleiben? Vater Ilan Ronen, Leiter des Habima Nationaltheaters in Tel Aviv, hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er seine Kinder lieber in Israel Theater machen sähe, als in Berlin.
Momentan probt Yael Ronen unter dem Titel „Situation“ am Gorki ein Stück, das sich mit der großen israelischen Community auseinander setzt, die es mittlerweile in Berlin gibt. Zwischen 20 und 30.000 überwiegend junge Israelis hat es nach Schätzungen an die Spree gezogen, weswegen man schon scherzhaft von „Spree Aviv“ spricht. Es gibt wieder ein sichtbares jüdisches Leben in der vormaligen Täterhauptstadt. Was aber nicht bedeutet, dass hier gleich ein konfliktfreies neues Miteinander in Vielfalt zu bejubeln wäre, wie es das Stadtmarketing so gern verkauft. Der Antisemitismus ist ja so wenig erledigt wie generell die irrlichternde Angst vor dem Fremden.
In Berlin sieht man dieser Tage Gräber aus dem Boden schießen. An Straßenkreuzungen, in Parks und auf Plätzen. Aktivisten haben sie ausgehoben, um gegen die Unmenschlichkeit der europäischen Abschottungspolitik gegenüber Geflüchteten zu protestieren. Gegen das Massensterben an unseren Grenzen. Und das hat viel zu tun mit einer Mahnung, die auch in der Arbeit von Yael Ronen steckt, so wie ich sie verstehe: Dass es nicht erst die Gräber sein sollten, in denen wir als Menschen unseren „Common Ground“ finden.
In diesem Sinne wünsche ich ihr und ihrem Ensemble noch viel Kraft für alle anstehende Arbeit.
Herzlichen Dank.
Von Patrick Wildermann