Zwischen zwei Welten
Die Großmutter lebt in Polen und versteht nicht, warum die Enkelin auf die scheinbar so einfache Frage nicht antworten will, ob es „drüben“ in Deutschland einen Mann in ihrem Leben gibt. Wirklich reden kann die Enkelin mit der Großmutter nicht, trotzdem fährt sie immer wieder in diese ganz andere Welt in einem Haus oben am Berg mit dem Kohleofen und einer alten Frau, die wartet. Und die Eltern? Die haben sich ins Wirtschaftswunderland jenseits der Oder rein gearbeitet, während die Tochter schon ganz selbstverständlich Abitur machen und studieren konnte. Drei Generationen und Lebensläufe werden sichtbar, erzählt von der Jüngsten, die von sich sagt, sie habe eigentlich „keinen Bock auf das Narrativ des goldenen Westens“. Und: Sie sei die Letztgeborene.
Hört sich nach Weltuntergang und Abbruch der Geschlechterfolge an, sagt ja aber nur, dass die junge Frau die vorläufig Letzte ist. Ewe Benbenek lässt kulturelle Gegensätze aufeinanderprallen und widmet sich den daraus entstehenden Konflikten. Drei Stimmen kommen zu Wort. Eine nimmt das Leben der Letztgeborenen eher sachlich unter die Lupe. Eine andere ahnt, dass der Weg hin zur Selbstbestimmung ein Gang auf dünnem Eis sein könnte. Die dritte lehnt sich gegen Rollenzuschreibungen und dagegen auf, zwischen zwei Welten festzusitzen. Aus dem Osten droht der in der Marienverehrung wurzelnde Katholizismus der polnischen Großmutter, vom Westen das protestantische Leistungsethos einer in die Bundesrepublik migrierten Elterngeneration, die dazu beigetragen hat, dass Deutschland eine der Lokomotiven der Weltwirtschaft werden konnte. Und jetzt ist da die Tochter, die eigentlich dankbar sein sollte, dass ihr alle Türen offen stehen, die durch viele der Türen aber gar nicht gehen will.
Ewe Benbenek studierte in Frankfurt (Oder), London und Erfurt Kultur- und Politikwissenschaften. Sie könnte selbst die Frau sein, die im Gegensatz zu ihren Vorfahren ein ziemlich freies Leben führt und die sich gegen den Anpassungsdruck in der westlichen Leistungsgesellschaft wehrt. Dass da eine Frau den Versuch unternimmt, familiäre Vergangenheit und individuelle Gegenwart miteinander zu konfrontieren, entfaltet in der Wiener Uraufführung eine schier albtraumartige Atmosphäre. Zwei Schauspielerinnen und ein Schauspieler tragen Masken und bewegen sich wie wechselwarme Reptilien in einem Wohnzimmer, das wohl seit den Fünzigerjahren des letzten Jahrhunderts dort steht. Zuerst denkt man, die drei seien Gefangene in einem Reich zwischen den Zeiten. Irgendwann fallen aber die Masken und es kommt jene Frau zum Vorschein, die sich gegen die „chauvinistische Kackscheiße“ des polnischen Onkels und diesen Alltagsrassismus in Good New Germany wehrt. Sie dreht den Spieß um und nutzt rassistische Schimpfwörter als Waffe: „Ich rede darüber, dass diese Migrantenfotze Superkräfte hat … weil sie das Studium geschafft hat, / und danach weiter gemacht hat.“ Bleibt nur zu wünschen, dass die Mülheim-Debütantin Ewe Benbenek auch als Theaterautorin weitermacht.
Jürgen Berger