Wer nicht träumt, ist selbst ein Traum

Sich verstehen

Finn, acht Jahre alt, erlebt nachts den Besuch seiner älteren Schwester Lucy, die bei einem Ski-Unfall ums Leben kam. Die Eltern sind sehr besorgt um ihren Sohn. Leidet Finn unter dem Verlust so sehr, dass er kein normales Kind mehr sein kann? Sie beschließen: In Lucys Zimmer soll ein anderes Kind einziehen. Vielleicht kann das die Situation für die ganze Familie verbessern und Finn helfen, über seine nächtlichen Traumbegegnungen hinweg zu kommen. Ahlam, ein zwölfjähriges Mädchen, wird in die Familie aufgenommen. Ahlam ist als Geflüchtete nach Deutschland gekommen und weiß nicht, wo ihre Eltern sind. Statt der erhofften Verbesserung für die Familie gibt es nun neue Probleme. Finn verteidigt nämlich das Zimmer seiner Schwester, als Ahlam dort einziehen soll. Er hat gute Gründe dafür, denn die Schwester lebt ja in seinen Träumen weiter, und die Eltern sind zunächst ratlos, wie in dieser Situation tatsächlich allen geholfen werden kann. Finn findet dann aber heraus, dass Ahlam genauso wie er mit Träumen von den Abwesenden beschäftigt ist: er in den Begegnungen mit seiner Schwester, sie mit den Gedanken an das ungewisse Schicksal ihrer Familie. So können sie sich einander nähern und beginnen, aus ihrer jeweiligen Situation heraus sich gegenseitig zu verstehen. Die Verteidigung des Zimmers muss kein Streitpunkt mehr sein. Am Ende gibt es eine überraschende Wendung in dieser Geschichte von Träumen in der Not. Das Stück behandelt auf einfühlsame Weise die Traumatisierung von Finn und Ahlam durch den Verlust nahestehender Menschen und zeigt, dass es Möglichkeiten gibt, diese zu lindern. Gezeigt wird aber auch, wie schwer und widersprüchlich ein solcher Vorgang sein kann. Zudem stehen Finn und Ahlam mit ihrer besonderen Geschichte für das Zusammenkommen von Kindern unterschiedlicher Herkunft, für einen Weg zum Miteinander in der heutigen Welt.
Thomas Irmer