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Uniform des Ökosystems


Kritik

Sie tragen Masken und Statement-Pullis, die Rentner von Port St. Lucie; einem ruhigen Ort, an dem das Spannendste das Boule- und Bingospiel zu sein scheint, wie der Schriftzug „I <3 Bingo“ auf der Schirmmütze von Sebastian Schindegger vermuten lässt. Ihre Pullover und Jogginghosen sind die Uniform des Ökosystems, dem allumfassenden System, das Kläger, Richter und Informant zugleich ist.

Ausstatterin Elisabeth Weiß hat das Ensemble in Pullover mit Motiven gekleidet, die kommende Episoden des Stücks repräsentieren. Der Elternmörder Tyler Hadley (Steffen Link) trägt einen pastellfarbenden mintgrünen Pullover mit Einhorn und der Aufschrift „Lost“, mehrfach untereinander geschrieben. Der Highschoolschüler aus dem beschaulichen Port St. Lucie bringt seine Eltern um und schmeißt anschließend eine Party.

Lost und Error

Pastellrosa ist der Pullover von Simon Bauer, der als Matt Nobile, Anstifter und Mitwisser, und als Marc Andrews, ebenfalls Mitwisser auftritt. Sein Sweatshirt ziert eine Fehlermeldung. Während Tyler derjenige ist, der verloren („Lost“) ist, ist die Schuld bei Matt und Marc „not found“ („Error“). Sie können sich der gesamten Verantwortung entziehen.

Der Pullover der später als Nevin Yildirim auftretenden Darstellerin (Lili Epply) ziert ein Regenbogen mit der Unterschrift „Everything sucks“. Yildirim tötet den Mann, der sie mehrfach vergewaltigt und gedemütigt hat. Das Tötungsdelikt und die Widerherstellung ihrer Ehre sind ihre Lösung in einer Welt, in der ihr Abseits von Selbstjustiz keine Gerechtigkeit gewährt wird. Das Harmonie verheißende Motiv des Regenbogens wird im Verlauf der Inszenierung weiter aufgegriffen durch einen Vorhang mit Regenbogen-Motiv und dem Lied „Over the Rainbow“. Eine trügerische Harmonie, eine trügerische Welt, in der „everything suckt“.

Blind im moralischen Diskurs

Farblich heraus sticht der knallig orangene Pullover von Schauspielerin Vassilissa Reznikoff. Sie hat eine Sonderstellung, wenn sie gegen Ende des Stückes der unsichtbaren Bedrohung des Wahnsinns der Welt ausgesetzt ist. Auf dem Pullover ist der Kopf einer Mamorstatue mit blutunterlaufenden Augenlidern abgebildet, ein Vorzeichen auf Lucia von Syrakus, deren Augäpfel ausgerissen wurden und die stets mit brauen Rinnsalen aus den Augenhöhlen dargestellt wird. Es ist ein Vorzeichen auf die Gleichzeitigkeit und Schnelllebigkeit des Internets, die uns blind werden lässt im moralischen Diskurs.

So treten die Darsteller:innen zum Ende der Inszenierung von Pedro Martins Beja mit blutunterlaufenen Augen auf, mit weißen Augenhöhlen, in hautfarbender Kleidung. Als homogene Masse erinnern sie an vom Wahnsinn gepackt Zombies und stellen eine Bedrohung für den Menschen dar. Das Internet als Ort, als System, das einen vor lauter Information und Anonymität blind in der Masse untergehen lässt. Es schafft einen Ort, an dem die Hemmungen fallen, Moral- Vorstellungen neu formuliert werden und sich auf der Sicherheit, Distanz zum Geschehen zu haben, ausgeruht wird. Dieses System ist allgegenwärtig und unumgänglich.

Verbindung von Sprache und Kostüm

So tragen alle Darsteller:innen für einen Großteil der Inszenierung Handschuhe als Zeichen dafür, dass sie unschuldig sind. Wird eine Tat begangen, braucht es Beweise. Fingerabdrücke sind ein klassisches Beweismittel, um jemanden eines Verbrechens zu beschuldigen. Die Anonymität und Distanz über das Internet verwischen die Fingerabdrücke, die Mittäterschaft an den begangenen Verbrechen, sodass niemand zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Die Frage nach Schuld und Unschuld, die die Inszenierung aufwirft, spiegelt sich konzeptionell in der Kostümwahl des Stückes wider. So gelingt es der Inszenierung auf überzeugende Weise Sprachliches mit Visuellem zu verbinden. Diese Verbindung von Sprache und Kostüm sorgt für einen noch intensiveren Eindruck des Wahnsinns eines uns allumfassenden Diskurses, den neue Medien und Digitalisierung mit sich bringen. Die Schnelllebigkeit und Informationsflut, die das digitale Ökosystem ausmacht, bieten Platz für Anonymität, Distanz und gleichzeitige Teilhabe. Statements, für die man sich nicht rechtfertigen muss – so wie die, auf den Pullovern.