28. Mai 2019 •
Eine Szene wie aus einem Tatort. Menschen in Schutzanzügen, die Fotos machen und Scheinwerfer aufstellen. Heute musste die Putzfrau dran glauben. Sie hat in ihrer winzigen Wohnung Selbstmord begangen. Die Tragik, dass Jennifer tot ist, weicht schnell in den Hintergrund, als klar wird, dass sie es gewagt hat, die Wohnungen ihrer Geldgeber:innen nachzubauen, mit kleinen (oder größeren) Abweichungen. Schnell findet sich eine Kuratorin, die die Modelle als hohe Kunst einschätzt und sich ans Werk macht, die winzigen Knetfiguren und Pappwände als Gegenwartskunst zu bezeichnen. Von da an werden die Modelle nur noch mit Samthandschuhen angefasst, denn jetzt sind sie „Outsider Art“ und die Abweichungen haben eine metaphysische Dimension.
Ein paar Pappkartons mit Abweichungen: Ist das Kunst oder kann das weg? Was wäre die Kunst ohne ihre Betrachter und Teilhabenden? Also kontaktiert die Kuratorin die Bewohner:innen der realen Wohnungen. Elmar Goerdens Stuttgarter Inszenierung beginnt ruhig, die Bewohner:innen reden in Zweier-Teams auf der Bühne über den Vorfall und sind mal mehr, mal weniger begeistert. Je später der Abend, desto tiefer gräbt sich die Kunst der Putzfrau in das Leben der Protagonisten. Das junge Mädchen Emily fasst in Worte, was die Erwachsenen sich nicht trauen, zu sagen: „Ja das versteh ich schon, dass du dir irgendwie, ich weiß nicht, vergewaltigt vorkommst oder so.“ Alle beziehen die Abweichung und die Kunst auf sich und sehen einen Eingriff in ihre Freiheit und Persönlichkeit. Die Rolle der Kunst wird an diesem Abend so richtig gehypt, die Grenzen zwischen Hochkultur und Alltag verschwimmen.
Meins, meins, meins!
Das private Eigentum in der Öffentlichkeit ausgestellt zu sehen, ist für alle ein eher befremdliches Gefühl. Eigentum ist ein Privileg des Kapitalismus, das hochgehalten wird und ein privates Ding bleibt, außer man lädt Leute gezielt ein. Durch Jennifers Kunstprojekt haben auch nicht geladene Gäste Einblicke ins private Wohnen. Beim gemeinsamen Zähneputzen auf der Bühne unterhalten sich die Bewohner:innen pärchenweise miteinander über den anderen hinweg über ihre Sicht der Kunst, ohne jedoch die anderen zu sehen oder wahrzunehmen – eine Parallele zu unserer Gesellschaft, in der wir viel zu oft mit Scheuklappen durch die Gegend laufen und uns selbst zu wichtig nehmen.
Clemens Setz’ Sprache ist oft absurd und bizarr. Sätze wie: „Da wölbt sich einem das Universum in die Kniekehlen, so eng ist das da drin“ werden an diesem Abend mit einem Lacher vom Publikum aufgenommen, haben aber auch eine ebenso traurige Botschaft: Die unterbezahlte Putzfrau, die keiner so richtig kannte, wohnte jahrelang in einer winzigen Wohnung und putzte bei Menschen, die sich nicht entscheiden können, in welche der vielen Ecken ihrer Wohnung ihr riesiger Schrank besser passt. Eine kuriose Situation: Die einen haben zu wenig Platz zum Wohnen, während es im Museum (ein unbewohnbarer Raum) „genug Platz für alle Wohnungen“ gibt. Auch das minimalistische Bühnenbild von Silvia Merlo und Ulf Stengl unterstützt diese Absurdität, da glänzen die blitzblank geputzten langen Streben. Der Beruf der Putzfrau ist negativ angesehen (auch in den Familien auf der Bühne), aber gebraucht werden sie trotzdem – die unmissverständliche Gesellschaftskritik macht betroffen.
„Ja, du wolltest Ekstase“
Die Dramatik im Stück spitzt sich zu, als die Kuratorin – (grandios gespielt von Josephine Köhler als sensationshungrige Kulturschaffende, die sich selbst für außerordentlich gebildet hält) vor Frustration die vorher so hochgelobte Kunst mit einem Fußtritt zerstört. Die Ehefrau, gespielt von Katharina Hauter (übrigens ist sie Tatort- und SOKO-Darstellerin) versucht währenddessen verzweifelt ihre Abhängigkeit von Beruhigungsmitteln zu stillen. Die von der Kunst Getriebenen verfallen in einen Wahn. „Ekstatische Wahrheit. Von der Putzfrau. Aus dem Jenseits.“ So fühlt sich Adam, der mit seiem Partner das schwule Pärchen verkörpert. Einzig die beiden Kinder im Stück lockern die Atmosphäre auf und gehen in ihrer kindlichen Ungezwungenheit in Liebe zueinander aus dem Stück. Ihre Reise im Raumschiff, das zu spaciger Musik aus dem Science-Fiktion Film Interstellar im Weltall verschwindet, nimmt der Inszenierung ein Stück seiner Ernsthaftigkeit.
Die Abweichung ist ein Stück voll absurder Aussagen und Handlungen, bleibt aber am Ende doch in seiner klassischen Form mit klar gezeichneten Figuren wie etwa des schwulen Vorzeigepärchens und dem typisch deutschen Geschichtslehrer. Die Botschaft? Wohnen ist ein Privileg und Kunst muss nicht nur der oberen Gesellschaftsschicht zugänglich sein. Die zwar abwesende, aber immer präsente Putzfrau Jennifer lässt den Zuschauer seine Vorurteile gegenüber dem unterbezahlten Unterschichtjob der Putzkräfte noch einmal überdenken – nicht nur, weil sie nach ihrem Tod als Künstlerin gelten könnten, sie ist auch einfach nur ein Mensch mit Job.