Ablehnung ist ihr Prinzip


Diskurs

„Kaufe nix, ficke niemanden“ – so hat Sibylle Berg ihren Twitteraccount überschrieben. Eine klare Ansage, die gleichzeitig eine Absage an den Konsum in jeglicher Hinsicht ist. Gönnen wir uns im Laufe dieses Textes einige ihrer direktesten Tweets.

@SibylleBerg in den nachrichten 4 mal das wort "Schummelsoftware" bei daimler. Klingt süsser als betrug. so menschlich

Auch in ihrem neusten Roman „“GRM.Brainfuck ist die Ablehnung, die sie der Welt entgegenbringt deutlich zu spüren:

„Das Jahrtausend / Begann lausig. / Es gab keinen Computerbug. / Es gab keine verdammte Katastrophe. / Dabei hatten sich die Bewohner der westlichen Welt darauf gefreut, dass nach den unendlich öden 90er Jahren endlich etwas passieren würde. Etwas, das nicht mit einer Finanzkrise zu tun hätte, die nur für Investmentbanker eine Aufregung bereitstellte, auf den letzten Metern vor dem Aufprall ihrer fitten Körper auf dem Asphalt. Wird mein enorm fitter Körper ebenso auf dem Pflaster zerplatzen wie ein weißer, dicker, untrainierter Verliererleib? Oder wird er abprallen, in die Luft federn?“

Schon die ersten acht Seiten triefen vor satirischer Negativität, dass es fast weh tut: Worte wie „verdammte Katastrophe", im Zusammenhang damit, dass „endlich etwas passieren soll" machen die Ablehnung deutlich. Niemand wünscht sich eine Katastrophe, aber die Menschen sind so gelangweilt, leer und überreizt, dass sie Gedankenspiele anstellen wie: Wird ein fitter Körper genau so auf dem Asphalt zerplatzen wie ein dicker Verliererleib?

Berg eröffnet eine Dichotomie zwischen dem erfolgreichen Banker und dem faulen Verlierertypen, der keinen SUV fährt und um die Welt fliegt. Die sozialen Schichten entwickeln sich immer weiter auseinander, die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer werden. Ein pessimistischer Bergscher Blick in die Zukunft mit großem Realitätsbezug. Der Roman wird im Klappentext zu Recht als „Buch der Stunde" bestimmt. Sowas muss man erstmal aussprechen. Aber wir haben es hier auch mit Sibylle Berg zu tun, einer Schriftstellerin, die die Dinge ausspricht, wie sie sind.

In „GRM.Brainfuck“ flüchten sich vier Jugendlichen aus dem von Neoliberalismus durchzogenen Rochdale nach London in die Musik des Grime, kurz GRM. Sie wollen der perfekten, glücklich machenden Überwachungsdiktatur entkommen. Don, Hannah, Karen und Peter haben Vergewaltigung und soziale Verwahrlosung erlebt, Berg erzählt davon, ohne etwas vorzuenthalten, sie lehnt Beschönigungen und Schonung des Rezipienten ab. 

@SibylleBerg der krieg der reichen gegen die armen. durchgesetzt von faschos. läuft. 

Sibylle Berg ist als Gesamtkünstlerin zu verstehen, sie twittert, schreibt Romane und Theaterstücke, aber geht derzeit mit ihrem neuen Roman mit jungen Grime-Künstlern auch auf Konzerttour. Zudem war sie als Sprecherin zur Vorstellung der Gäste durch satirische Texte für die Talkshow „Schulz & Böhmermann“ tätig. Satire spielt eine entscheidende Rolle im Werk Sibylle Bergs. Sie erhielt 2019 den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor, sie verfremdet in ihren Romanen, Theatertexten und sogar auf ihrem Twitteraccount durch groteske Stilmittel ins Absurde. Damit führt sie politische Äußerungen, die Themen Digitalisierung und die Arbeits- und Leistungsgesellschaft, den Kapitalismus und die Geschlechterungerechtigkeit dem Rezipienten auf unterhaltsame Art und Weise vor. 

@SibylleBerg ann alle nicht faschos: geht wählen

Sibylle Berg ist eine politische Autorin und kritische Kommentatorin der Gegenwart. Das demonstrieren zum Beispiel auch die Titel ihrer Spiegel Online-Kolumne „S.P.O.N. – Fragen Sie Frau Sibylle“: „Egoismus und Weihnachten: Die Liebe ist eine Erfindung des Kapitalismus, um Zeug zu verkaufen“ oder „Hoffnung auf eine neue Welt: Pflegen Sie ihre Wut!“

Unter dem Deckmantel des Witzes und der Satire spricht Berg aus, was sonst keiner sagt. Sie schaut hinter feststehende Diskurse, Rituale und Symboliken, das kritische Hinterfragen der Gegenwart scheint ihre Methode und ihre Aufgabe zu sein. 

@SibylleBerg wenn kapitalisten von freiheit reden, meinen sie meist eine vulgäre kombination von geiz und gier. sollten sich einfach mal ein neues wort überlegen.

Ihr Stück „Wonderland Ave.“ ist als ein Dialog zwischen einer Person – namentlich nicht genannt, weil sicherlich unwichtig – und einem Chor aus Robotern, die nicht, so Berg vorab, zu intelligent sein sollten. Dies geschieht durch Aussagen, die als einzelne Zitate für sich selbst stehen können und die man wunderbar retweeten könnte, wie zu Beginn durch eine klare Ansage der Roboter: „Es ist völlig in Ordnung, dass Sie keine Kompetenzen haben. Sie sind ein Mensch, die tun nur so, als hätten sie Dinge im Griff, als wüssten sie, was das All ist und wo es endet, wie man uns programmiert – / Das ist doch ihr großes Talent: so zu tun, als hätten Sie Ahnung von der Ordnung der Welt, als wüssten Sie, was draußen vor sich geht. Irgendwas mit Kapitalismus. Und Bitcoins. Und Google –“ 

Die Ablehnung Bergs an den Kapitalismus, an Bitcoins und Google wird hier zu Anfang deutlich. Der Rezipient erfährt hier ein erstes Unbehagen, da diese Aussage zwischen einem Stück Wahrheit unserer heutigen Welt und einer sehr düsteren Vorstellung von haltloser Entwicklung changiert – ein Merkmal der Groteske. Die Chorfigur – eigentlich eine Instanz aus dem antiken Theater – wird hier als Begleiter der Handlung, als Spiel- und Ansprechpartner, aber auch als Drill Sergeant markiert. Bei Sophokles erscheint er Chor als Meinung der breiten Masse oder als allwissender Kommentator. Bei Berg erscheint er ebenfalls als allwissender Kommentator, der ausdrückt, was Sie – die Person – nicht zu sagen vermag. Berg spricht aus, was keiner zu sagen vermag. 

@SibylleBerg hahaha sie haben dystopisch gesagt. das unwort des jahres. es geht nicht um die zukunft sondern um das jetzt.

Der Rezipient kann sich seinem vermeintlich inneren Kritiker – wer kennt ihn nicht? – nicht entziehen: „Man muss einfach nur durchhalten, seine Arbeit machen, sich fit halten, und dann wird es besser. Es ist doch immer besser geworden für die menschliche Rasse, Steinzeit, Mittelalter, um mal zwei Stationen zu nennen – da war doch immer ein Wachstum, eine Entwicklung.“

Die Grausamkeit dieser Aussage liegt im ‚Sich-Ertappt-Fühlen‘ des Rezipienten. Die logische Aussage, dass alles besser wurde im Gegensatz zur Steinzeit vermischt sich mit dem eigenen Denken: Manchmal muss man sich einfach durchbeißen. Berg treibt diese Indoktrination des Leistungsdenkens auf die Spitze bzw. verfremdet es in Boshaftigkeit: „Was für ein bezauberndes Wetter. Quasi ein ‚Mein Kampf‘-Tag.“

Der Wettbewerb bestimmt das Verhalten, das Ziel hier: Der Gewinn eines ‚perfekten Zustandes‘. Dafür wird sich durch eine ordentliche Sport-Performance gequält, ähh gekämpft, morgens durch das abgestimmte Frühstück mit Hormonen und Mineralstoffen versorgt. Aber was ist der perfekte Zustand? Hier scheint „kaufen, streamen, essen“ eine mögliche Antwort zu sein. Die Protagonisten sind auf der Suche nach etwas, von dem sie gar nicht wissen, wie es aussieht oder sich anfühlt. 

Frau Berg markiert den Jetzt-Zustand und wagt einen Blick in die Zukunft: „Mit selbstfahrenden Scheißautos fing doch der Untergang an.“ Auf dieser neuen Stufe der Entwicklung zählt nur eines: „Die Abwesenheit von organischen Substanzen verbessert unsere Performance.“ Das Wort ‚Performance‘ ist längst weg von der Kunst, dem Sport und dem Management in unseren Alltag eingezogen. Auch folgendes Zitat markiert einen Jetzt-Zustand: „Ich habe mit keiner gesprochen, weil ich nicht mehr weiß, wie man ohne Endgeräte kommunizieren kann. Mündisch, sozusagen.“

Die Absage an die mündische Kommunikation als aussterbe Kulturtechnik in der nahen Zukunft? Gar nicht mal so weit her geholt.

@SibylleBerg wenn rassisten nicht so gefährlich blöd wären, könnte man sie lächerlich dumm finden

Berg verantwortet das System des Kapitalismus und den damit verbundenen Glauben ans Geld als ein Übel: „Sie glaubten an Geld. Sie haben sich als Veganer ausgegeben und nachts heimlich im Bett Hackfleisch verzehrt. Sie haben das Hackfleisch neben Ihr Kopfkissen gelegt und es beim Verwesen beobachtet.“

Freuen wir uns also auf die Eröffnungsinszenierung des Schauspiel Köln, auf einen Einblick in eine mögliche Zukunft, in der es auf gesteigerte Effizienzmaximierung ankommt. Um es mit Frau Bergs Worten zu sagen: „Leistung lohnt sich. Sie dürfen jetzt jubeln.“