Stücke 2013
Sexueller Missbrauch ist zur Zeit das Gebiet, das die Phantasie der Dramatiker am stärksten anregt. Dieses Gebiet ist aber gleichzeitig auch von Sprachverboten umstellt. Am weitesten hat sich die sehr junge, 1991 geborene, in Biel und Berlin Literarisches und Szenisches Schreiben studierende Schweizerin Katja Brunner jetzt auf diesem Feld nach vorne gewagt.
Brunner interessiert sich am Missbrauch vor allem und immer wieder für eine einzige Frage: Wie sieht er für diejenigen aus, die an ihm teilnehmen. Sie spricht in ihrem ersten Stück Von den Beinen zu kurz nicht über den Missbrauch, sie spricht sozusagen aus ihm heraus. Sie bohrt sich hinein und erfindet Figuren, die aus der Situation heraus sprechen. Dabei kommt sie sehr weit.
Konsequenterweise sind es Vater, Mutter und Kind, in deren Gedanken und Gefühle sich Brunner hinein gegraben hat. Alle drei sieht Brunner, schon das wirkt skandalös, als Menschen. Gleichzeitig sagt sie keck, dass Von den Beinen zu kurz ein Stück für 4 oder 5 Schauspieler:innen oder 13 Männer in Bademänteln sei. Denn gleichzeitig reibt sich dieses Stück auch heftig an den Sprachregeln, die wir um das Thema herum errichtet haben.
Brunner gelingt so etwas Doppeltes: Sie schreibt aus klassischer Identifikation mit den Figuren heraus über ein prekäres Thema. Die Figuren sagen hier Sätze, die öffentlich noch nicht zu hören waren. Dabei spricht aber doch immer die Gesellschaft mit ihren Ansichten, Urteilen und Einschätzungen mit und wird noch einmal auf andere Weise kenntlich.
Eine leidenschaftliche Spracharbeiterin ist zu entdecken.
Peter Michalzik
Mit: Lisa Natalie Arnold, Katja Gaudard, Dominik Maringer, Oscar Olivo
Regie: Heike Marianne Götze
Bühne: Dirk Thiele
Kostüme: Heike Marianne Götze
Choreografie: Salome Schneebeli