Stücke 2016
Es gibt kein anderes Stück, das die Situation im Deutschland des Jahres 2016 so gekonnt verdichtet, kein anderes Stück, das so deutsch ist wie dieses. Bloß deutschsprachig ist es über weite Strecken nicht. Ein Novum für Mülheim. Aber auch ein Problem? Höchstens für Paragrafenreiter, die kein Bewusstsein haben für den Epochenbruch, für künstlerische Kleingeister, die keine Antennen haben für die Sprachkraft dieses Abends.
Er ist klamaukig – und klug. Komisch – und kitschig. Analytisch – und pathetisch. Ein großer Abend.
Allein die Ausgangsthese: Der Nah-Ost-Konflikt hat Israelis, Palästinenser und Syrer in ihren Heimatregionen jahrelang auf größtmöglichem Abstand voneinander gehalten und lässt sie nun auf denkbar engem Raum aufeinandertreffen, in den Sprachkursen deutscher Großstädte.
Die israelische Regisseurin Yael Ronen hat das Stück gemeinsam mit Schauspielern entwickelt, die selbst aus Israel, Palästina, Syrien und Kasachstan nach Deutschland gekommen sind. Ihre Biografien und jene der Figuren, die sie spielen, verschwimmen. Sie radebrechen ein wenig Deutsch miteinander, sprechen aber häufiger und besser Englisch, Arabisch und Hebräisch, weshalb der Abend komplett übertitelt werden muss. Das postmigrantische Maxim Gorki Theater als post-deutschsprachiges Theater.
Der Effekt: Alle sind ein wenig lost in translation, alle ringen um Verständigung, die Figuren auf der Bühne, aber auch die Zuschauer im Saal. Gibt es ein treffenderes Bild für Deutschland im Jahr 2016?
Tobias Becker
Mit: Ayham Majid Agha, Karim Daoud, Maryam Abu Khaled, Orit Nahmias, Dimitrij Schaad, Yousef Sweid
Regie: Yael Ronen
Bühne: Tal Shacham
Kostüme: Amit Epstein
Musik: Yaniv Fridel, Ofer Shabi
Licht: Jens Krüger
Dramaturgie: Irina Szodruch
Auf Englisch, Deutsch, Hebräisch und Arabisch und mit deutschen und englischen Übertiteln