Laudatio auf Konstantin Küpert zum Mülheimer Publikumspreis 2017


Konstantin Küspert beobachtet die Zukunft

 

Lieber Konstantin, liebe Preisträger und Laudatoren, sehr geehrte Damen und Herren,

ich könnte mir diese Aufgabe leicht machen. Konstatin Küspert hat ans Ende seines Mülheimer Gewinnerstücks einen wunderbaren Text gesetzt, in dem er über das Schreiben Auskunft gibt. Diesen Text legt er einer Figur namens Konstatin in den Mund. Wenn man also diese Figur Konstantin mit dem Autor Konstantin Küspert gleichsetzt, erfährt man mit seinen eigenen sehr genau, was ihm in seinem Beruf wichtig ist.

Ich möchte hier auch nicht über das intelligente und humorvolle Stück „Europa verteidigen“ sprechen – darüber wurde bereits im Anschluss an die Preisverleihung diskutiert (nicht vielleicht in der maximalen denkbaren Ausführlichkeit, aber immerhin).

Ich möchte Ihnen stattdessen mein eigenes Bild des Autors Konstantin Küspert vermitteln, mit dem ich einige Jahre zusammenarbeiten durfte.

Als ich das erste Mal in Mülheim war, viele Jahre (etwa 20?) ist es her, drehte sich alles um den Gegenwartsautor.

Darunter verstand man eine besondere Spezies von Schreibenden, die sich Themen ihrer Zeit widmeten.

Eine kleine Gruppe, die es - besonders bei den Dramatikern - zu finden, zu schützen und zu fördern galt.

Sie waren offensichtlich auch zu unterscheiden von den Autoren von Weltrang, die per se Welt in ihre Werke einschrieben und sich nicht an die Niederungen ihrer Gegenwart binden mussten.

Konstantin Küspert ist anders. Er ist ein "Zukunftsautor". Bzw. ein „Zukunftschreiber“.

Das heißt nicht, dass er sich nicht für die Gegenwart interessiert.

Im Gegenteil.

Die Gegenwart ist wichtig.

Aber nur, um zu wissen, was kommt. Wohin die Reise geht.

Wie ein Analyst der Wall Street, der sich für die Entwicklungen von Firmen, Aktien, Werten in der Zukunft interessiert und der daher das Jetzt genau untersuchen muss, also: das Gras wachsen hören - ebenso genau untersucht, vergleicht und bewertet Küspert die Gegenwart mit dem Ziel einer ähnlichen, aber auf keinen Fall vergleichbaren Entwicklungsprognose.

Ihm geht es dabei nicht um Gewinnmaximierung - aber durchaus um Wertbestimmung. Allerdings von sehr anderen als kapitalistischen Werten - von moralischen nämlich, und deren Zukunft. Und zwar mit einem ganz ehrlichen, aufrechten, aber durchaus auch ironischen Blick.

Ihm geht es um Humanismus.

Wie sagt er es selbst in dem Video der Mülheimer Theatertage zum Autor Küspert: „Ich finde gerade für die jüngeren Leute dürfen wir nicht zulassen … dass die Werte, nach denen sich Europa selber sehnt, oder die es sich selber auf die Fahnen geschrieben hat, nämlich so eine Menschlichkeit, so ein Humanitas-Gedanke, dass der mit den Schlauchboten im Mittelmeer versinkt. Sozusagen. Dass da so eine Werteerosion stattfindet. Das ist das Sendungsbewusstsein, das ich da hatte, also das Gefühl, warum ich dachte, dass das ein wichtiges Thema ist, für uns gerade, dass man da darüber redet, was das eigentlich ist.“

Ein Autor, der offen zugibt, dass er ein Sendungsbewusstsein hat – das finde ich bemerkenswert.

Wie geht Küspert vor? Er untersucht meiner Meinung nach vor allem zwei Ebenen: zum einen analysiert er die Inhalte, zum anderen die Sprache.

Was sagt das, was passiert, und das, wie es vermittelt wird, über unsere Gesellschaft aus? Und vor allem: Welche Entwicklung lässt sich ablesen?

„Küsperts Texte heben sich in der Theaterlandschaft ab, weil sie, bei aller silistischen Komplexität, auffallend aufrichtig wirken. Es sind Angebote, einen Schritt zurückzutreten, heraus aus dem ewigen Wiederkäuen von Meinungen, die gerade dabei sind, Wissen und Erkenntnis den Rang abzulaufen.« (SZ)

Küspert nutzt virtuos die sozialen Netzwerke. Ich bin ein Mensch, der sich durchaus nicht wenig dort herumtreibt - aber immer, wenn ich online bin, ist Konstantin offensichtlich bereits da oder noch dort.

Es macht große Freude, sich mit ihm zu ungewöhnlichen Zeiten auszutauschen über aktuelle Meldungen, über die Verschleierung von Nachrichten oder die Wahrheiten zwischen den Zeilen.

Dies ist bei ihm aber vermutlich weniger der Neugier, als dem Wunsch geschuldet, keine dieser interessanten Anzeichen zu verpassen, die ihm bei der genauen Bestimmung helfen, wohin sich unsere Welt entwickelt.

Küspert ist ein kühler Kopf.

Ihm helfen das Aufwachsen in einem analytischen Elternhaus – beide Eltern sind Juristen – und seine Freude an Technik. Küspert ist auch deswegen ein Zukuftsautor, weil er sich in einem - für einen Literaten ungewöhnlichen - Ausmaß für Technik interessiert.

Wenn ich seine Texte lese, habe ich das Gefühl, es mit einem Sprach-Pathologen zu tun zu haben.

Ich vermute (interessanterweise weiß ich es nicht und wir haben nie darüber gesprochen), er schreibt weniger in einem genialischen Fluss, als vielmehr wie ein Feinmechaniker, der ein Uhrwerk zusammengebaut:

Nach einen genauen Plan und unter Verwendung feiner Instrumente wird hier sorgsam Teil für Teil gefügt.

Ist es so?

Dabei helfen der kritische Blick auf das eigene Werk und die Distanz des Forschers zum Inhalt.

Vielleicht ist Küspert deswegen - als ironiefähiger Sprachpathologe und zugewandter Feinmechaniker - nicht nur so ein guter Autor, sondern auch so ein ausgezeichneter Dramaturg.

Herzlichen Dank, dass Du deine Fähigkeiten für zwei Jahre und mehr in den Dienst des Karlsruher Theaters gestellt hast.

Im Widerspruch zur Sachlichkeit und der seinen Themen angemessenen wissenschaftlichen Kühle stehen übrigens die Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Höflichkeit und Herzlichkeit des Kollegen und Mitmenschen.

Es ist eine große Freude, mit Konstantin Küspert zu tun zu haben.

Im Umgang ist er geradezu "old school". Und das passt schon sehr gut zum forschenden "Zukunftsautor".

Vermutlich ist es sogar eine ideale Kombination.

Nun, dies alles ist  - es sei sicherheitshalber erwähnt - mein subjektives Bild von Konstantin Küspert.

Ich bin gespannt, ob Sie den Gewinner des Publikumspreises der Mülheimer Theatertage 2017 in meinen Worten wiederkennen.

Vor allem: Ob er sich selbst wiederfindet.

In jedem Fall war und ist es mir eine außerordentliche Freude und Ehre, für diese Laudatio über einen außerordentlich geschätzten Kollegen nachgedacht zu haben und diese vor Ihnen zu halten.

Die Begegnung mit Konstantin Küspert gehört tatsächlich zu den ganz besonderen in meinem Berufsleben - und ich bin sehr dankbar dafür.

Ich möchte ihn, aus Respekt, gerne selbst am Ende zu Wort kommen lassen: „Ich begreife meinen Auftrag vielleicht als eine Mischung aus Volkshochschule, Zeitung und Kulturbetrieb. Und dabei greifen wir auch, denn auch das ist unsere Aufgabe, Themen auf, die die Gesellschaft bewegen, die einen Einfluss auf die Gesellschaft haben.“

Oder, anders ausgedrückt, mit der vielleicht schönsten Küspert-Eigenauskunft: „Ich wollte Entscheidungen treffen, die Konsequenzen haben.“

Und was gibt er uns, den Verantwortlichen an den Theatern auf den Weg?

„Es bedarf dringend einer Neuausrichtung des gesamten deutschsprachigen Stadttheaterwesens, weg von einer Hype-basierten Produktionsüberlastung hin zu mehr Kontinuität, mehr Mut, mehr Nachhaltigkeit. Und das schreibe ich durchaus auch als Gegenwartsautor, der sich mehr Nachinszenierungen seiner Stücke wünschen würde.“

Lieber Konstantin, ich wünsche Deinen Werken zahlreiche Nachinszenierungen. Ich bin fest davon überzeugt: den Theatern und unsere Gesellschaft tun sie gut.

Peter Spuhler