(Un)schöne neue Welt
Der Ex-Klima-Aktivist Peter Vogel kann sich glücklich schätzen. Er lebt in einer ökologisch korrekten Welt der nahen Zukunft mit einer „intimen künstlichen Intelligenz“ zusammen: Einer ehemaligen Sexpuppe, die er „IKI“ nennt und die in Rekordgeschwindigkeit so viel von ihm gelernt hat, dass sie bald besser weiß, was gut für ihn ist, als er selbst. „Möchtest du Kakaobohnen essen?“, fragt IKI Peter zum Beispiel fürsorglich, wenn seine Stimmlage verrät, dass er gerade dabei ist, „selbstmitleidig“ zu werden. „Du hast noch welche im Rucksack“, verkündet sie dann aufmunternd und behält auch ansonsten den Überblick: „Es hilft dir meistens. Deine Stimmung wird etwas besser. Im Vergleich zu Alkohol oder anderen Drogen.“
Die künstliche Intelligenz hat selbstredend Konjunktur – in Technologie und Wirtschaft ebenso wie in der neuen Dramatik. Und natürlich dauert es auch an diesem Abend nicht lange, bis der gemeine Homo Sapiens vor den Algorithmen der Maschine kapitulieren muss und „IKI“ ersetzt wird durch „UKI“, eine „universelle künstliche Intelligenz“, die vom durchschnittlichen Human-Hirn überhaupt nicht mehr steuerbar ist. Dennoch ist dem Autor Kevin Rittberger mit seinem Stück IKI. radikalmensch, das die junge Regisseurin Rieke Süßkow am Theater Osnabrück kongenial zur Uraufführung gebracht hat, eine außergewöhnliche Auseinandersetzung mit dem Sujet gelungen. Denn Rittberger behandelt nicht nur überaus differenziert den Privatkosmos – sprich: den umfänglichen Fragenkomplex, den eine Intimbeziehung mit einer artifiziell-maschinellen Partnerin fraglos aufwirft. Sondern sein „ökologisch-bürgerliches Rührstück“, wie es im Text einmal selbstironisch heißt, bespiegelt den Untersuchungsgegenstand in einer globalen gesellschaftlichen Dimension und verbindet die künstliche Intelligenz mit einem zweiten aktuellen Thema: dem Klimawandel. KIs sind in diesem Stück nicht nur Partnerinnen- und Partnersurrogate, sondern sie kontrollieren auch den CO2-Verbrauch und das Bewusstsein der Bevölkerung. Die 1990 geborene Rieke Süßkow, die noch ganz am Beginn ihrer Regiekarriere steht, hat dafür gemeinsam mit dem Bühnenbildner Lukas Fries und der Kostümbildnerin Marlen Duken am Theater Osnabrück ein höchst bemerkenswertes Inszenierungskonzept entwickelt: Die Bühne ist ausgekleidet mit einem scheinbar unendlich langen rosafarbenen Stofftuch, das – höhlengleich aufgespannt und mit wenigen Handgriffen variierbar – gleichermaßen regressiver Rückzugsort für Peter und IKI wie auch Prophezeiung einer weltumspannenden künftigen (KI-)Blase ist, von der ausdrücklich offen bleibt, ob es sich um eine schöne oder eine eher unschöne neue Welt handelt. Sicher ist nur so viel: Die Zuschauer sitzen am Ende mit in der Stoffhöhle. Aus den akuten Gegenwarts- und Zukunftsfragen gibt keine einfache ExitStrategie.
Christine Wahl