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Sprechen? Ohne mich!

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Elfriede Jelinek

Sprechen? Ohne mich!

(50 Jahre Mülheimer Theatertage)

 

Ich bin in Mülheim dagewesen und auch wieder nicht. Meine Stücke sind dort aufgeführt worden, ich habe Preise bekommen, für mich eine Erhebung, doch ich war kaum je dabei. Ich erinnere mich aber natürlich an das Sportstück mit Schleef, da bin ich sogar mit ihm auf der Bühne gestanden! Das Höchste, das ich erreichen konnte, denn die Theaterbühne ist ja über alle erhoben, wenn auch nicht immer erhaben. Ich habe also etwas wie eine vampirische Existenz geführt, die sich an der Aufführung, am Publikum vollsaugt und wieder verschwindet, allerdings ohne wirklich dagewesen zu sein. Ich mußte sozusagen von Luft und Liebe leben, im symbolischen Raum, wo, obwohl der reale Raum den Bühnenboden ja zur Verfügung hat, auf dem die Leute auf- und abgehen können, mein Reich des Symbolischen auch noch aufblühen sollte, so ganz nebenbei, es ist ja nicht so ganz von dieser Welt, so habe ich es zumindest gewollt. Das sagt Gott, und weniger will ich auch nicht über mein Reich und diese Welt gesagt haben. Das ist wie mit der Sonne, das Aufgehen, weil alles am Theater groß ist oder großgemacht wird, und wenn es dann endlich paßt, ist das Abgehen danach kein normales Abgehen, nachdem die Leute dort oben endlich ihr Gsatzl für die Ewigkeit abgeliefert haben. Runter müssen sie trotzdem, damit wieder andre aufgehen können, vielleicht zukünftige Stars, die wie Sterne leuchten, aber auch die müssen sich irgendwann wieder wegräumen, was sicher hart ist. Besonders dieses Aufgehn hat es in sich, denn diese Leute auf der Bühne müssen ja dafür sorgen, daß die Aufmerksamkeit, mal mehr, mal weniger, auf etwas gerichtet wird, das, vor allem in meinen Theatertexten, nur Sprechen ist und sonst nichts. Bei mir sind die SchauspielerInnen die Hülle fürs Sprechen, und ein Regisseur, eine Regisseurin richtet ihnen Texte her, die dann, samt Garnierung, beim Mund wieder rauskommen. Das Sprechen wird den Menschen zugeführt, weil die eine oder andre Wahrheit ihnen halt doch nicht immer zumutbar ist. Es ist nicht unbedingt das, was sie sonst mit ihren Mündern hervorbringen, an die dann Aufmerksamkeit geheftet werden soll wie Stecknadeln an ein Stück Stoff, das einmal ein Kleid werden soll, aber immer erst im Entstehen begriffen ist. Man weiß nicht, was draus wird. Ich werde nie wissen, was und wieviel die Zuschauer von meinen dahintreibenden Sprachinseln, diesen Iles flottantes (kann man essen!), aufgenommen haben werden. So wie der Schauspieler, die Schauspielerin auftritt und wieder abtritt, so nimmt die Aufmerksamkeit der Zuschauer etwas auf und nimmt wieder ab. Je nachdem, aber was nachdem kommt, das weiß ich nicht.

Wenn Menschen sprechen, nimmt man das als Ergebnis innerer Prozesse wahr, als eine Verlautbarung des Inneren im Menschen, wie Heidegger sagt. Jeder Mensch ein Gedicht, nicht nur, wenn er spricht, ein Gedicht, wie es eben auch eine gute Mahlzeit sein kann. Und sobald dieses Sprech-Gedicht aus einem Mund ertönt, ist es vernutzt, ein Nachhall auf etwas, das unzählige Male schon vorher gesagt und gedacht wurde, Heidegger sagt auch, daß aus diesem alltäglichen Reden „kaum noch ein Rufen erklingt“. Dafür aber vielleicht ein Anrufen? Die verschiedenen Klingeltöne, mit denen man angerufen wird, gellen in den Ohren. Im Theater muß man sie aber unterdrücken, sonst werden Sie sofort niedergezischt. Dann sprechen vielleicht die Geräte unhörbar miteinander, weil wir ihre verborgene Sprache noch nicht verstehen, die unser Sprechen aber, vielleicht sogar bald, ablösen wird, bis es davonfliegt, jedoch keinen Ast findet, keinen Zaunpfahl, den ein Dichter, nachdem er heftig damit gewinkt hat, mühsam eingeschlagen hat, um sich danach wieder hinzusetzen. Oder weil das Sprechen die Stille nicht mehr aushält.

Da ich tragbare Telefone so gut wie nie benutze und schon gar nicht, wenn ich unterwegs bin — ins Unterwegs nehme ich sie nämlich gar nicht erst mit, damit ihr lustiges, sorgsam ausgesuchtes Rufen niemanden stört (und mich auch nicht) —, ist bei mir die Sprache der Toten, der toten Geräte, die ja von Anfang an tot sind, aber dabei ganz schön Lärm machen, etwas, das sich an Stelle der Sprache der „Sterblichen“ setzt, die vielleicht gern zuhören würden, was ein andrer als die Leute auf der Bühne sagt, aber sie dürfen es nicht. Die dort droben sind eindeutig tot, und dann ziehen sie sich um und gehen einfach nach Hause. Sie sollten lieber der Sprache der Unsterblichen zuhören, die aber genauso sterben müssen, auch weil sie halt gar nicht so unsterblich sind wie sie glauben und es auch nicht werden.

Ein unhörbares Stimmengewirr durchzieht die Theater, ein Sprechen, das in kleine Geräte eingesperrt wurde und die Zuhörenden vielleicht mehr interessiert als das, was da wirklich gesprochen und ausgestellt wird, und zwar als das wahre Sprechen, nicht als Verlautbarung von Bühnenpersonal. Und dazu ich, auf mich hat das Sprechen nur gewartet!, als Vampir, dessen Sprechen zeitweise da ist, dann wieder weg, am Tag, wenn keine Vorstellung ist, muß es gewartet werden, damit es dann endlich wieder raus darf. Ich als Person bin sowieso nicht vorhanden. Ich bin vielleicht nur ein Gespenst, ein Wesen, das nicht aufgetankt werden muß, es muß überhaupt nicht essen, während der Vampir sich selbst oft genug zu Tisch bittet. Ist das ein Theater! Personen, die da sind, aber gleichzeitig weg, schreiben Stücke, die da, aber danach zuverlässig auch wieder weg sind. Ihr Sprechen hat sich verselbständigt, denn es ist immer anders, jeden Abend anders als am vorherigen und am zukünftigen, und jedes Sprechen auch an ganz andren Orten möglich und zugänglich (es kann organisiert werden und findet dann dort statt, wo man es hinstellt, die dazugehörige Organisation bleibt auch unsichtbar), falls man reingeht, um es zu hören. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Es steht in der Bibel und ist daher unhörbar.

Am Theater stehen Personen, die da sind, andren gegenüber, die das nicht sind, sie lassen etwas verlauten, das die Stille zerbricht, die Trümmer fliegen uns um die Ohren, auch ohne daß wir ein Gerät dran halten. Wir halten uns dran, aus der gebrochenen Rede etwas herauszuhören, was über sie hinausgeht, denn sonst könnten wir ja einfach, genau: telefonieren! Machen wir eh. Wir Gespenster, die Überstunden machen und auch mit ihrem Publikum verrechnen, schmeißen mit Trümmern, wir können nicht haftbar gemacht werden, denn wir sind ja gar nicht da. Und doch haben wir etwas geliefert, das über uns hinausgehen soll. Am Theater, wo Sie nicht vorzeitig hinausgehen sollten, wird etwas verlautbart, das aber keine Verlautbarung ist. Wir dürfen es nicht mit dem Sprechen vergleichen, das wir ausüben oder aus dem handlichen Telefon heraussaugen, mit dem wir uns aufblasen: „Die Sterblichen sprechen, insofern sie hören.“

Also bitte, hören Sie!, sonst dürfen Sie auch nicht mehr sprechen, und das wäre doch schade! Sie müßten sonst Ihr Sprechen an jemanden wie mich abtreten! Oder zumindest weiterleiten. Das Theater ist mein Sprechen, das dort aufgehoben wird. Hoffentlich hält es sich noch eine Weile! Manchmal wird es herausgelassen, damit ich nicht zu ausgelassen werde, damit ich vorher Dampf ablassen kann, der mich dann aber wieder antreibt. Da ich in meinem Leben nur wenig spreche, benutze ich das Theater dafür.

Danke, Mülheim, danke, Theatertage!, daß mein Sprechen dort so anerkannt wurde und daß auch alle andren Sprachen dort gewürdigt und anerkannt werden, weil sie zuvor erkannt und dann eingeladen wurden in den Lastwagen Theater. Da sollte mal einer Ordnung schaffen! Aber besser nicht! Danke, Mülheim, für alles, was war und alles, was sein wird, auch ohne daß ich dabei bin!

 

Copyright © by Elfriede Jelinek, 2025

 

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Bisher am häufigsten für die Mülheimer Theatertage nominierte Autorin (23-mal)
Gewinnerin des Mülheimer Dramatikpreises 2002, 2004, 2009 und 2011 sowie der Publikumsstimme 1998 und des Publikumspreises 2018