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Nichts hat sich verändert


Gespräch

Sivan Ben Yishais Gefühle zum Theater sind ambivalent. Das macht ihr Stück „Bühnenbeschimpfung (Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr?)“ mehr als deutlich. Im Publikumsgespräch weist sie darauf hin, dass es nicht die eine Antwort auf ihren Titel gebe. Ihre persönliche Hin-und Hergerissenheit zum Theater drückt sie mit einer musikalischen Metapher aus: Mal ist es ein Love-Song, mal ein Brake-up-Song. An dem einen Tag könnte sie das Handtuch werfen, am nächsten ist sie wieder davon überzeugt, dass Theater der einzige Weg wäre, als Gemeinschaft zu lesen, zuzuhören und wichtige politische Fragen zu behandeln. 

Ihr Auftragswerk soll die Komplexität des Problems zeigen, das seit einigen Jahren in der Theaterwelt offengelegt wird – Rassismus-Vorfälle und Machtmissbrauch und wie man das Thema innerhalb der Institution ohne Angst vor der fristlosen Kündigung ansprechen kann. Und dabei ist es immer noch ein Auftragswerk für das Maxim Gorki Theater. Dieser Fakt wirft im Publikum die Frage auf, ob sich durch die Produktion von Sivan Ben Yishais Stück etwas am Gorki Theater und in der Ensemblearbeit verändert habe. Hat das Stück die Dynamik des Theaterhauses beeinflusst, etwas in Bewegung gebracht? Trotz der neun am Pult sitzenden, hauseigenen Ensemble-Mitglieder äußert sich lediglich Regisseur Sebastian Nübling zu der Frage. (Ein weiterer Ausdruck der Machtstrukturen in der Institution?) Er erklärt, dass es nicht die Aufgabe einer Produktion sei, die Strukturen zu verändern und dass schon anderthalb Jahre vor ihrer Zusammenarbeit viel im Gorki Theater in Bewegung gewesen wäre. Als die Moderatorin Cornelia Fiedler sich der nächsten Frage widmen möchte, ergreift Sivan Ben Yishai das Wort. „Nothing has changed. Because I guess that’s not how activism works”. („Nichts hat sich verändert. Weil ich denke, dass Aktivismus so nicht arbeitet.“) Die Performativität hier auf Podium zeige doch genau, wie die Strukturen funktionieren. 

Eine Produktion erarbeitet in ihren Augen einen Text, um Grenzen zu erweitern. Dabei könnten die Institution und das Team auch klitzekleine Dinge finden, die sie besser machen können. Dinge, über die sie sich bewusstwerden und reflektieren können. Das Theater könne zwar andere mit Ideen füttern und zu gewagteren Vorhaben als die eigenen inspirieren, nichtsdestotrotz ist und bleibt ihre Antwort: „Nein, wir ändern nie etwas.“ 

Selbst ein Theaterstück über schlechte Arbeitsbedingungen und Machtstrukturen innerhalb der Theaterszene wird in die Form der gegebenen Strukturen gepresst. Und genau das ist das Problem. Als Gefangene im System tut sich die Frage auf: Können wir überhaupt Widerstand verkörpern, wenn wir die etablierten Machtstrukturen immer und immer wieder reproduzieren? Im Publikumsgespräch wird deutlich: Die Institution Theater ist nur eine Metapher für viele weitere Institutionen, die unser Handeln lenken. „Bühnenbeschimpfung (Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr?)“ beantwortet diese Frage nicht und das versucht das Stück auch gar nicht. Viel mehr regt es dazu an, über die eigenen Strukturen nachzudenken, in denen man lebt. Und ob man aus ihnen ausbrechen kann und will. Das Publikumsgespräch zeigt, dass es nach Jahren der Beschäftigung mit Machtmissbrauch am Arbeitsplatz immer noch kein Patentrezept für den Umgang damit gibt. Aber wie Sivan Ben Yishai sagt, vielleicht kann auch so ein im System gefangenes Publikumsgespräch ein klitzekleines bisschen zur Reflexion beitragen.