Ein Leben auf 11 Zoll


Kolumne

Ich bin keine Mutter, die ihr Kind verloren hat. Aber ich bin ein Enkelkind, das ihren besten Freund verloren hat: Mein Opa ist im Dezember gestorben und das hat ein Loch in meine sowieso schon kleine Familie gerissen. Doch was wäre, wenn auch er auf so eine Weise weiterleben könnte?

Davon abgesehen, dass er sowas nie gewollt hätte, kann ich es mir schwer vorstellen. Mein Opa war ein lebendiger, humorvoller Mensch. Er hat immer versucht, uns zum Lachen zu bringen. Woran wir uns wohl alle am meisten erinnern, sind seine Geschichten. Früher fuhr er zur See, gemeinsam mit uns ließ er seine Zeit auf dem Schiff oft Revue passieren. Dabei hat er immer wieder das Gleiche erzählt, und zwar so oft, dass wir die Pointen schon in und auswendig kannten. Trotzdem haben wir immer wieder gelacht, als hörten wir sie zum ersten Mal. 

Am liebsten erzählte er von der Zeit, in der er nach Amerika fuhr. Sie überquerten die Datumsgrenze. Der Kapitän plante diese Überfahrt immer so, dass sie auf einen Sonntag fiel und schenkte der Besatzung damit gleich zwei freie Tage. Ich denke oft an diese Geschichte zurück, da sie eine Eigenschaft meines Opas zeigt, die ich bewundere: Er konnte sich über die kleinen Dinge freuen. 

Wenn ich mir vorstelle, dass ich diese Geschichten nicht mehr aus seinem Mund höre, sondern auf einem Tablet geschrieben finde, ist das befremdlich. Denn schon hier in dieser Kürze über sie zu schreiben wird ihnen nicht gerecht. Ohne die Stimme meines Opas, sein Lachen und die langen Pausen, die er machte, damit auch jeder von uns lacht, ist es einfach nicht das Gleiche. Einen so großen Mann wie ihn, kann man eben nicht auf 11 Zoll einschränken.

Und trotzdem verstehe ich die Mutter im Text von Clemens J. Setz und ihren Wunsch nur noch einmal mit der geliebten Person sprechen zu können. Auch wenn es nur ein Bild auf einem Gerät ist. Klar ist ihre Situation komplett anders als meine. Aber es wäre schön, wenigstens so zu tun, als wäre mein Opa noch hier. Wenn auch nur für eine Weile. Vielleicht wird das Vermissen dadurch aber auch nur noch größer. Wenn ich daran denke, dass mein Opa in einem Tablet weiter lebt, dann muss ich lachen.

Er wusste nicht mal, was ein Tablet ist.