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Wie Sprache den Text formt


Gespräch

Elfriede Jelineks „Die Angabe der Person“ besteht ursprünglich aus 150 Seiten Prosatext. Und obwohl die Inszenierung von Jossi Wieler mit 2 Stunden und 20 Minuten die längste auf dem Spielplan der diesjährigen Theatertage ist, liegt auf der Hand, dass sie nicht jede geschriebene Seite unterbringt. Sonst wäre es ein wesentlich längerer Abend. Dramaturg Bernd Isele verrät, dass ungefähr ein Drittel des Gesamttextes verwertet wurde. Wie ist es da gelungen, sich auf die Seiten zu einigen, die es auf die Bühne geschafft haben? „Mit vielen Schwierigkeiten“, erklärt Isele. Im Prosatext gebe es weder eine Gliederung, Figuren noch Dialoge, dafür aber eine große Menge an Themen. Er bezeichnet den Text darum als „furchteinflößendes, undurchdringliches Gestrüpp“, das nur auf eine Weise habe geordnet werden können: mit Sprache. Erst mit lautem Vorlesen sei es gelungen, Verständnis für den Text zu gewinnen und dann eine Struktur zu schaffen.

Die Schauspielerinnen Linn Reusse, Fritzi Haberlandt und Susanne Wolff sind sich einig darüber, dass Jelineks Text erst mit dem Sprechen lebendig wird. „Es ist ein Text, der klingt“, meint Fritzi Haberlandt, die erst durch das Sprechen auf den humoristischen Aspekt ihres Monologes aufmerksam geworden sei. Warum die einzelnen Monologe so unter den Schauspielerinnen verteilt wurden, wird nicht begründet. Ohnehin handle es sich bei den vorgetragenen Monologen nicht um die Präsentation dreier verschiedener Charaktere. Thematisch sei zwar zu unterscheiden zwischen Jelinek als Autorin, Historikerin und Aktivistin, gespielt werden solle die jeweilige Rolle aber völlig frei. Susanne Wolff erklärt, sie hätte sich dem Text zur Verfügung gestellt – nicht andersherum. Mit der Aussprache des Texts sei ihre Figur geformt worden, ganz von selbst. Auf die daraus resultierende Individualität der verschiedenen Jelineks in ihrer Inszenierung seien dann auch die Kostüme von Anja Rabes abgestimmt worden. 

Wie sieht es mit dem vierten Teil des Stücks, dem „gemeinsamen Monolog“, aus? Wie wurde entschieden, wer was spricht? Die Antwort: „Gar nicht.“ Alle Schauspielerinnen hätten zusätzlich zu ihrem Einzel-Monolog auch den letzten Teil des Stücks vollständig gelernt. Wer auf der Bühne dann was spricht, entstehe ganz spontan. Darum sei jede Vorführung am Ende doch anders. Eine Aussage, die im Publikum für Überraschung und Bewunderung gleichzeitig sorgt. Den ganzen Entstehungsprozess der Inszenierung nennt Bernd Isele eine „Über-Freiheit“. Elfriede Jelinek habe sich nicht eingemischt, erklärt er. Auch Kommunikation zwischen dem Team und der Autorin habe es nicht gegeben, natürlich aber Abstimmungen mit Regisseur Jossi Wieler. 

Überrascht war die Autorin am Ende trotzdem – und zwar von der Rolle des Schauspielers Bernd Moss. „Ein Stück Mann“ wird er sowohl vom Text als auch den Schauspielerinnen genannt. Das Besondere an seiner Rolle ist nicht nur, dass er fast das ganze Stück über stumm bleibt, sondern auch, um wen es sich hier eigentlich handelt: Gottfried Hüngsberg, den Ehemann der Autorin, der noch vor den Proben zu „Angabe der Person“ verstarb. Die Stütze in Elfriede Jelineks Leben, über die sie bisher in keinem ihrer Werke geschrieben hat. Irgendwo sei das Stück daher auch eine „versteckte Liebesgeschichte“, merkt Bernd Isele an. So zeige sich die Autorin in diesem Stück offen und verwundbar wie noch nie. Schauspielerin Linn Reusse berichtet, sie sei Jelinek durch das Sprechen dieses Textes als reale Person begegnet – nicht mehr nur als Schreiberin hinter einem Text.