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Wie viel Silke steckt in uns?


Gespräch

Auf die Frage, ob unsere Gesellschaft klassistisch sei, antwortet Nora Abdel-Maksoud kurz, knapp und selbstverständlich: „Ja“. Im weiteren Verlauf des Gesprächs erklärt sie: „Ich find’s scheiße, wie ungleich Geld verteilt wird.“ Diese deutliche Aussage erstaunt kaum, schließlich sei genau das, so Abdel-Maksoud, die Prämisse, von der ihre Komödie ausgehe. „Jeeps“ spielt in einem Jobcenter, in dem Geld nach einer Erbreform neu verteilt wird: Vermögen wird nicht mehr an die Nachkommen vererbt, sondern per Los-Verfahren vergeben. Nicht einverstanden mit diesem System ist Silke Eggerts, Tochter aus gut situiertem Haushalt. Sie sei zwar total bescheiden und sparsam, und habe neben ihrem Studium sogar im Callcenter gearbeitet, auf das Erbe ihres verstorbenen Vaters will sie dennoch nicht verzichten.

Beim Publikumsgespräch stellen sich das Produktionsteam und Mitglieder des Ensembles die Frage, wie viel Silke Eggerts eigentlich in ihnen steckt. Gro Swantje Kohlhof hat diese im Stück verkörpert und zitiert als Antwort einen Satz, den Abdel-Maksoud einmal bei den Proben gesagt hat: „Wir sind alle ein bisschen Silkes." Das zeige sich schon allein darin, dass sie ein Schauspielstudium absolvieren konnten, so stellen Kohlhof und ihr Kollege Vincent Redetzki (Gabor) fest – ohne finanzielle Sorgen. Und das gilt nicht nur für die Schauspielerei: Erfolgreich studieren, unbezahlte Praktika machen und die eigene Vita arbeitsmarktkonform aufrüschen - das ist nur möglich, wenn man sich das Geld für die Miete nicht nebenbei noch selbst verdienen muss.

Die eigenen Privilegien zu hinterfragen ist die Kernbotschaft dieser Komödie. Einem Zuschauer reicht dieser Denkimpuls jedoch nicht aus. Er fordert eine Erklärung darüber, welche konkrete Position das Stück in der Umverteilungsdebatte bezieht und wirft den Beamtenfiguren Klischeehaftigkeit vor – das könne er jedoch nur vermuten: Ein Jobcenter habe er selbst noch nie betreten. Enik aus dem Ensemble (Musik) stellt eine Gegenfrage: „Ist ein Stück dafür da, eine Antwort zu geben? Sollte es nicht eher Anregung statt Antwort sein?“ Eine Frage, die zum Weiterdenken einlädt: Es wäre schon erstaunlich, wenn ein Theaterstück die Lösung für systemische Diskriminierung von Minderbegüterten in unseren kapitalistischen Strukturen auf die Bühne bringen würde. Wenn es der Anspruch von Theater wäre, immer Antworten zu liefern, dann gäbe es wahrscheinlich bald keine Theaterschaffenden mehr. Der Herr im Publikum zeigt sich nicht gänzlich einverstanden und fragt sich weiter, inwiefern ihn das Stück denn nun angeregt habe.

Eine Antwort wäre: Vielleicht ist es schon viel wert zu merken, dass man noch nie ein Jobcenter betreten hat. Zu reflektieren: Welche Chancen habe ich, die andere nicht haben? Oder, wie Kohlhof betont: Wenn man sich keine Sorgen um Geld machen muss, kann man Lebensentscheidungen mit einer Leichtigkeit treffen, die man selbst vielleicht gar nicht mehr wahrnimmt. Um eine fairere Gesellschaft zu gestalten, ist es aber so wichtig, die eigenen Voraussetzungen nicht gedankenlos auf andere Menschen zu übertragen: Vielleicht ist ein Kinobesuch oder ein Essen im Restaurant für einen selbst erschwinglich, während jemand anderes akribisch dafür sparen muss. Dieser Gedanke aus dem Stück wird im Publikumsgespräch noch viel deutlicher: Check your privileges. Check your inner Silke.