Theaterzauber und Stachelbeere


Diskurs

Die Woche der KinderStücke ist zu Ende, die Jugend- und die Erwachsenenjury haben jeweils ihren Gewinner des Mülheimer KinderStücke-Preises gekürt. Eine Gruppe ist allerdings noch nicht öffentlich zu Wort gekommen und es ist ausgerechnet die Zielgruppe: Kinder. Darum hat unsere Autorin nach drei Vorstellungen die Meinungen von Kindern im Alter von acht bis elf gesammelt und mit Theaterpädagogin Sarah Kranenpoot über die alles entscheidende Frage gesprochen: Was wünschen sich Kinder von Kinderstücken? Ein Resümee.

Für einige ist es eine ganz neue Erfahrung: Viele der Kinder, die mit ihrer Schulklasse im Publikum der KinderStücke sitzen, waren bisher nur einmal oder noch nie im Theater. „Ich war neulich im Kino!“, meldet sich ein Junge zu Wort, seine Lehrerin räumt ein: „Kino zählt nicht.“ Für die Kinder allerdings schon, denn sie ordnen den Theaterbesuch in eine Reihe von ähnlichen Erfahrungen ein, die sie bereits selber gemacht haben, erklärt Theaterpädagogin Sarah Kranenpoot, die die Schulklassen bei den Theatertagen begleitet.

„Ich fand es gut, dass am Ende akzeptiert wurde, dass der Junge ein Kleid trägt“

Einigen fällt es hörbar schwer, während der Inszenierung ruhig zu bleiben, doch das liegt nicht unbedingt immer an Desinteresse: „Manche Kinder wollen sich während der Aufführung schon darüber austauschen, was auf der Bühne passiert und es fehlt dann manchmal die Geduld, bis zum Ende zu warten“, sagt Kranenpoot. Und weiter: „Kinder wollen Stücke sehen, die mit ihrer Lebenswelt zu tun haben und die Gefühle wecken.“ Das zeigt sich deutlich an den Reaktionen der Kinder auf die Stücke. Wenn man sie nach ihren Lieblingsmomenten fragt, nennen die Kinder vor allem lustige Szenen - besonders solche, in denen Erwachsene Regeln brechen und sich unkonventionell verhalten: Als Oma Monika sich an ihren Enkel anschleicht und ihn erschreckt („Oma Monika - was war?“), als die Darstellerin des Telemachos unerwartet mit wackelnden Hüften einen Tanz beginnt („Die seltsame und unglaubliche Geschichte des Telemachos“) oder als Miras Opa plötzlich aus dem Hundehaus herausschaut („Als die Welt rückwärts gehen lernte“). Und als auf der Bühne „Mathe zerknüllt wird“, brechen die Kinder im Publikum in spontanen Beifall aus. Aber auch emotionale Moment der Akzeptanz, des Zusammenhalts und der Versöhnung kommen gut an. „Ich fand es gut, dass am Ende akzeptiert wurde, dass der Junge ein Kleid trägt“, sagt ein Mädchen. „Das war schön, als die Oma und der Balthasar sich nachher umarmt haben“, meint ein anderes.

Durchgehend aufmerksam zuhören und sich später noch gut an die Handlung erinnern, fällt allerdings vielen schwer, so Kranenpoot. Helfen können hier Requisiten und Kostüme, die zu Medien der Erinnerung und Aufmerksamkeit werden, denn „Bebildern fördert das Erinnern.“ So erwähnen viele Kinder den Moment, in dem Oma Monika eine Tasse durch den Raum wirft, die scheppernd zerbricht, als einen lustigen Lieblingsmoment und wollen Genaueres über die Tasse wissen: Aus welchem Material ist die? Geht die leicht kaputt?.

Waren die Stachelbeeren wirklich stachelig?

Auch Momente, die sich durch Licht- und Soundeffekte auszeichnen, sind beliebt, denn die Bühnentechnik fasziniert die jungen Besucher*innen. Der aufziehende Nebel, die bunten Lichter und die auf Schnipsen des Schauspielers erklingende Musik bekommen aus der Perspektive von Kindern eine besondere Dimension von Magie, weil sie die Technik dahinter noch nicht ganz verstehen – den „Theaterzauber“ nennt Sarah Kranenpoot das.

Auch die Fragen, die die Kinder nach den Inszenierungen stellen, beziehen sich weniger auf die Themen und die Handlung des Stücks, als auf die Bühnentechnik, die Requisiten und die Schauspieler*innen: Woher kommt der Nebel auf der Bühne? Wie kommt es, dass der turmhohe Zeitungsstapel nicht umfällt? Mag die Schauspielerin von Oma Monika auch in echt keine Schokolade? Wie alt sind die Schauspieler*innen? Sind sie vor der Aufführung aufgeregt? Und waren die Stachelbeeren wirklich stachelig?

Gerade deswegen hat es Telemachos auch nicht leicht, bei Kindern zu punkten. Das Stück setzt auf Minimalismus mit einer einzigen Schauspielerin und einem weißen Quadrat als Bühnenbild. Die klare und ausdrucksstarke Sprechweise von Schauspielerin Ninon Perez genügt zwar, die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich zu ziehen – aber nicht durchgehend. „Es hätte mehr Figuren geben sollen.“ –  „Ja, den König und die Königin!“ – „Mehr Schauspieler und Requisiten.“ Das sind die Wünsche der jungen Zuschauer*innen nach der Inszenierung. „Zwischendurch war es langweilig“, sagt ein Kind nach der Aufführung und die umstehenden Kinder stimmen zu. Die Aufgabe, sich vollkommen auf das Zuhören zu fokussieren und das Erzählte mit der eigenen Fantasie zu bebildern, ohne dass aber irgendeine Anregung, irgendein visueller Ausgangspunkt dafür geboten wird, überfordert viele, meint Kranenpoot.

Requisiten, Kostüme und Kulissen können helfen, die eigene Fantasie anzuregen. In „Als die Welt rückwärts gehen lernte“ genügt es, einen Schnurrbart oder eine Brille anzuziehen, um sich in den Opa oder die Lehrerin zu verwandeln. Auf der Bühne können Stoffstreifen zu Götterzeitungen werden, Perlenvorhänge zu Stachelbeeren und Kinder zu Radiomoderatoren, Monstern, Omas und Held*innen. Auch das ist Theaterzauber.