Richtig vereint sein


Gespräch

Anders als in den Gesprächen zu den „Erwachsenen“-Stücken sitzen alle locker in einem Stuhlkreis zusammen: der Autor Sergej Gößner, die Darsteller*innen, das Team vom Theater Konstanz, die Jugend-Jury und die Zuschauer*innen. Mikrofone sind dadurch unnötig, und es entsteht ein reger, zwangloser und empathischer Austausch rund um die Inhalte und den Entstehungsprozess des Stücks.

Die gängigen Definitionen von Weiblichkeit und Männlichkeit müssten noch viel öfter und viel stärker in Frage gestellt werden, wünscht sich Karin Becker, die Intendantin des Jungen Theaters Konstanz. Sie berichtet begeistert, wie sie in Hamburg Gößners Stück „lauwarm“ gesehen und ihn daraufhin direkt per Handschlag für ein Stück in Konstanz verpflichtet habe. Im gemeinsamen Austausch mit der Dramaturgie wurde dann entschieden, sich mit Gender und geschlechtsspezifischen Stereotypen auseinanderzusetzen. Das, so Gößner, sei ein gesellschaftlich brandaktuelles und wichtiges Thema, das ihn überall umgibt. Vor dem Laptop sitze er beim Schreiben eher wenig, das Knobeln am Stück sei ein Prozess, der immer im Hinterkopf laufe, sei es beim Einkaufen oder beim Besuch bei Oma. 

Der Text an sich sei komplex zu lesen und sprachlich für die Zielgruppe von Kindern ab acht Jahren womöglich zu anspruchsvoll, findet die Jugend-Jury, die Inszenierung mache das aber mehr als wett. Die Jugendlichen zeigen sich begeistert von den Kostümwechseln, den Reimen und vor allem dem humorvollen und lockeren Umgang mit dem Thema Gender auf der Bühne. Auch die vielen versteckten Anspielungen auf Popkultur, Klimakrise und Ente süß-sauer kommen bei ihnen gut an.

Die Jury bringt außerdem viele eigene Erfahrungen ein, die zeigen, wie relevant sie die Thematik findet und wie frustriert die Jugendlichen von der Gesellschaft sind, die Menschen immer noch versessen in blau und rosa teilen will, in Ballett und Fußball, in Barbies und Actionfiguren. Sie finden es ungerecht, wie wenig Freiraum eine Gesellschaft bietet, die Kindern schon vor ihrer Geburt einen Stempel aufdrückt, der hinterher kaum mehr abzukriegen ist. „Der fabelhafte Die“ könne zeigen, dass man sich nicht allein fühlen müsse, wenn man sich „anders“ fühle, wenn man aus der „Norm“ fällt. Je früher das Thema angesprochen werde, desto früher könne auch Leid verhindert werden, indem Kindern der Druck zum „Normal Sein“ abgenommen werde. Sie beobachten dennoch eine Diskrepanz: Mädchen könnten „Anderssein“ leichter akzeptieren und kämpften auch mehr dafür, selbst „anders“ sein zu dürfen. Jungen hingegen stünden der Idee, dass Grenzen zwischen den Geschlechtern stärker verwischt werden könnten, häufiger ablehnend gegenüber – womöglich aus dem Zwang heraus, cool sein zu müssen, schlägt Gößner vor. Jungs werde es schon sehr früh abgewöhnt, Gefühle und körperliche Zuneigung zu zeigen, oder etwas süß finden zu dürfen. Nein, cool sein stehe schnell an oberster Stelle.

Eine Zuschauerin lobt das Stück, zweifelt allerdings daran, ob damit tatsächlich Stereotypen entgegengewirkt werden könnte, wenn zu Hause immer noch starr die Dichotomie von Frau und Mann vorgelebt und auferlegt werde. Die Dramaturgin Romana Lautner glaubt fest daran, dass die Kinder, die das Stück sehen, davon etwas mitnehmen können. Selbst wenn sie zu Hause mit diesen strengen Mustern konfrontiert seien, so bleibe doch ein Echo des Gesehenen.

Dieses Echo könnte den Kindern später helfen, die zu Jugendlichen und schließlich zu Erwachsenen werden, sich daran zu erinnern, dass Identität mehr ist als die Kleidung, die sie tragen, und nicht davon bestimmt ist, ob sie nun im Fußballverein kicken oder im Ballettunterricht Pirouetten drehen. Es lebt vor, dass es sich lohnt, sich gegen diese strengen Muster zu behaupten und die Gesellschaft von Grund auf offener, fluider und bunter zu gestalten.