Not your Business


Kolumne

In Nora Abdel-Maksouds Komödie „Jeeps" geht es um Chancenungleichheit. Du hast Glück, ich hab Pech. Du bist reich, ich bin arm. Du hast einen guten Po, ich hab Cellulite. Denn das Leben ist nun mal unfair. Ist das wirklich so?

Vor Kurzem habe ich das Video einer Bekannten gesehen, die sich selbst als „Business Mentor" betitelt und ihr Geld mit Beratung verdient. In dem Video sagt sie: „Es ist alles da. Genug Liebe, genug Zeit, genug Geld. Die einzige Person, die dich limitiert, bist du!" Und das Gleiche sagen mir „Mental Coaches" in Lackschuhen auf Instagram. Ich könne alles schaffen. Ich muss nur fest an mich glauben und mich anstrengen. Leistung zeigen. Mein Krafttier sei ein Löwe, König der Tiere. Niemand will eine Gazelle sein, die hat absurd lange Hörner und rennt so hektisch. Also fertige ich mir meinen Leitspruch in passendem Lifecoach-Design an: Über einen brüllenden Löwen in Schwarz-Weiß lege ich die kursiven Worte: „Du bist dein eigenes Limit!" Geiles Mantra! I can do it! Nimm das, Abdel-Maksoud!

Man könnte sagen: Toll, diese lebensbejahende Haltung. That's the spirit, einfach machen! Oder man sagt halt: Bullshit.

„Es ist ja so, jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm", heißt es im Prolog von „Jeeps". Was das bedeutet, zeigt uns die Figur Gabor: Er hat den Aufstieg zwar geschafft, hat es geschafft, sich endlich seinen Traum-Mercedes zu kaufen. Natürlich kann man Ziele erreichen, wenn man sich anstrengt. Doch er hat dafür hart gearbeitet. Es macht halt schon einen Unterschied, ob das Taschengeld während des Studiums von Papas Konto oder den Nachtschichten hinter versifften Theken kommt. Es macht einen Unterschied, ob du beim Besichtigungstermin für die neue Wohnung Schulz oder Şahin heißt oder zum Bewerbungsgespräch eine Gebärmutter mitbringst. Positives Mindset hin oder her.

Das „Du kannst alles schaffen"-Narrativ ist so gefährlich, weil es suggeriert, dass Opfer des Systems selbst schuld seien, wenn sie nicht mit 24 schon drei Unternehmen gegründet und zwei Apps entwickelt haben. Dabei sind es patriarchale, kapitalistische und rassistische Strukturen, welche die Limits setzen. Und festlegen, was man tun muss, um in diesem System Erfolg zu haben.

In Barcelona habe ich eine Zeit lang mit einem jungen Mann aus Argentinien zusammengewohnt – der personifizierte schwarz-weiße Löwe mit geilem Mantra. Und das im wahrsten Sinne: Von seinem kompletten Rücken glotzte mich beim Kochen ein tätowierter Löwe (natürlich mit Krone) an. Mein Mitbewohner hat es – so wie Gabor – geschafft. Er kam aus finanziell schwachen Verhältnissen nach Barcelona und erzählte mir stolz seine Erfolgsgeschichte. Die hat er seinem 1A-Geschäftssinn zu verdanken – und diesen Gurus in JOOP!-Sakko aus den YouTube-Videos, die auf der Bühne erklären, wie man Menschen besonders gut manipuliert. Denn mein Mitbewohner verkauft Handyverträge an Leute, die keine Handyverträge wollen. Auch das ist eine Seite dieser Erfolgsgeschichte.

Dass diese toxische Positivität vielen Menschen nicht guttut, ist auch wissenschaftlich nachgewiesen. Die psychologische Studie „Power for Some, Peril for Others" hat ergeben: Positive Affirmationen können bei Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl negative Gefühle triggern. Es ging den Probanden besser, wenn sie gesagt bekamen: Es ist okay, auch negative Gedanken zu haben. Positive Affirmationen helfen, so die Studie, eher Personen mit hohem Selbstwertgefühl. Es sind die Silke Eggerts, die ihre Manifestationen gerne vom Balkon schreien können. Sie selbst sagt im Text: „Unser Reichtum ist außerdem nur einer der Zufälle unserer Geburt! Ich trage Konfektionsgröße 36 und habe eine Stupsnase. Was will das Jobcenter jetzt tun, mir meine Nase amputieren, weil das gerecht wäre?"

Klar: Es sollten so viele Menschen wie möglich positiv durchs Leben gehen. Und es sollte jede*r an sich glauben. Doch wäre es schön, wenn privilegierte Menschen aufhören würden, anderen Menschen deren Limits zu erklären und ihnen damit (wenn auch unbewusst) die Idee vermitteln, sie selbst seien der Quell allen Übels. „Du kannst alles schaffen" stimmt manchmal einfach nicht. Du kennst die Limits deiner Mitmenschen nicht. It's not your business. Also, Silke: Feiere deine Stupsnase, die sieht klasse aus! Versuche bitte nur nicht, Menschen mit Kleidergröße 44 in deine True Religion-Jeans zu zwängen. Thanks.