14. Mai 2022 •
Obwohl „Wounds are forever“ von Wunden, Waffen, Terror und Traumata erzählt, schafft es Sivan Ben Yishai das gewaltvolle Kaleidoskop der Geschichte Palästinas immer wieder durch humorvolle Momente zu brechen. Es ist genau diese Mischung aus Ernsthaftigkeit und Witz, die sich auch auf das Publikumsgespräch nach der Aufführung überträgt, was wohl vor allem an der humorvollen Art der Autorin liegt. Fast hat man das Gefühl, sie wolle uns einen Gefallen tun, uns ein gutes Gefühl vermitteln: Ja, das Thema ist schwer, doch habt keine Angst, euch damit zu beschäftigen. Bleibt locker.
Schließlich geht uns die Geschichte alle an und dafür gibt Sivan Ben Yishai sogar ihren Namen her. Die Autorin erklärt: Dass die Protagonistin heiße wie sie, bedeute nicht, dass ihre Person gemeint sei. Vielmehr sei ihr Name eine Leinwand, auf die wir unsere eigenen Erfahrungen projizieren könnten. Gleichzeitig könne sie selbst durch diesen Kniff die nötige Distanz wahren. Die Protagonistin werde zum „Über-Ich“, erklärt Schauspieler Patrick Schnicke. Und mache das Stück eben dadurch allgemeingültig. Er berichtet ganz persönlich von seinen Erfahrungen mit dem Text und erzählt, dass er alleine im Lockdown Probleme gehabt habe, Passagen auswendig zu lernen – wegen der Schuld der Deutschen, die er dabei gespürt habe. Die Textstellen zu Deutschland 1938 hätten ihn aufgewühlt, er habe an seine Oma denken müssen, die mit elf Kindern aus Schlesien fliehen und auf einem Bauernhof unterkommen musste. Man merkt Schnicke an, wie sehr ihn das Stück bewegt, wie sehr er involviert ist, doch auch diese Ernsthaftigkeit vermag Ben Yishai kurz zu unterbrechen, als sie auf seine Aussage „Deutschland 1938“ ein keckes „Gesundheit!“ einwirft.
Besonders das Thema Übersetzen nimmt bei dem Gespräch viel Raum ein. Es ist ja auch ein ganz besonderer Fall: Ben Yishai schreibt auf Englisch, was nicht ihre Muttersprache ist, für das Nationaltheater Mannheim. Ihre Übersetzerin Maren Kames wiederum übersetzt aus dem Englischen (ebenfalls nicht ihre Muttersprache) ins Deutsche. Was daraus resultiere, so Ben Yishai, sei ein „gap of language“, doch genau das sei die Sprache des Theaters: voller Reibungen, Probleme und Missverständnisse. Und dieser Mix der Sprachen spiegelt sich auch in Ben Yishais Antworten wider: „In the Leerzeichen between Ideas, we found the dialectics.“
Autorin und Übersetzerin wirken vertraut miteinander, lächeln sich zu und unterstützen ihre Aussagen gegenseitig mit Kopfnicken. Kein Wunder, Ben Yishais Texte ins Deutsche zu übersetzen, so Kames, brauche viel Hingabe – schließlich bekomme die englische Version niemand zu Gesicht. Ben Yishai bezeichnet ihre Arbeitsbeziehung gar als eine Art Liebesbeziehung: „To allow somebody to translate my work, I have to be in love with the writer.“ Und wie zur Bestätigung dieser Liebesbeziehung kommt es auch gleich zum neckischen Kampf. Als Kames Ben Yishai aufzieht: „I’m the parents of wounds“, entfährt dieser ein unmissverständlicher Laut des Widerspruchs – ein weiterer Lacher im Publikum. Und man ahnt einmal mehr: Am Ende hat die selbstbewusste Ben Yishai die Hosen an.
Das Thema Übersetzung interessiert auch das Publikum, das an diesem Abend jedoch insgesamt zurückhaltend ist - obwohl Schauspieler Samuel Koch mehrmals humorvoll insistiert, dass ihn die Meinung des Publikums mehr interessieren würde als eigenes „pseudointellektuelles“ Gerede. Die wenigen Meldungen, die es gibt, sind eher Gedanken als Fragen. Das passt zum überwältigenden Stück: Vielleicht hat man zu viele Fragen, weiß einfach nicht, wo man anfangen soll. Eine Zuschauerin denkt laut darüber nach, ob sich im „gap of languages“ das transgenerationale Trauma reflektiere. Bei diesem Thema wird Ben Yishai plötzlich ganz ernst. Sie antwortet bestimmt: „People who are relocated become the best storytellers at the places they arrive, refugees are the best storytellers of the time. Our private struggle has the DNA of political struggle.“ Die gebannte Stille im vollen Foyer des Theaters an der Ruhr scheint ihr Recht zu geben.