Die Last auf unseren Schultern


Kritik

Eigentlich sollte das Stück „Selbstportrait als mein Vater“ heißen, wie eine Figur am Ende der Aufführung offenbart. Aber der Titel - ein Fund aus dem Internet - war bereits für ein anderes Stück verwendet worden. Naiverweise habe sie, die Autorin, gedacht, dass die Aneignung niemandem auffallen werde.

Dies ist eine der subtileren Anspielungen auf -Fakt oder Statement? - die unrechtmäßige Landnahme Palästinas durch Israel in „Wounds Are Forever“ (Selbstportrait als Nationaldichterin) von Sivan Ben Yishai. Inszeniert von Marie Bues feierte es am Nationaltheater Mannheim Premiere und konkurriert nun als eines von sieben Stücken um den Mülheimer Dramatikpreis.

In einer Verflechtung aus der Geschichte Israels mit der Geschichte der Autorin und Protagonistin, die aus Israel emigrierte, wird episodenhaft eine Collage aus Konflikten gebaut, und so zu einem gewaltvollen wie spielerischen Trip.

Immer wieder ertönt in der Inszenierung verheißungsvoll der Name der Autorin Sivan Ben Yishai, und setzt dabei souverän Maske um Maske auf, während er sich durch die Aufführung hangelt. Ben Yishai legt sich dabei eigenhändig (selbst-kasteiend?) die Last des Staates Israel auf die Schultern. Oder ist es das Nationaltheater Mannheim, dass Ben Yishai diese Last auf die Schultern legt? Das heißt, der trendorientierte Theatermarkt? Die Frage wird nicht beantwortet, aber zumindest ihr Über-Ich, namentlich die Eltern, ist davon überzeugt.

Die mehrstimmigen Vorwürfe, die das Stück implizit oder ausgesprochen zersetzen und eine Spaltung der Identität einleiten, wenden sich nicht nur gegen die Autorin, die sich der Konfrontation mit ihrem geerbten Trauma und den enttäuschten Eltern stellen muss, sondern auch gegen die wahnhafte Personifizierung des Staates Israel.

Während Sivan, dem Staat, das Rampenlicht nicht besonders gut steht, er sich immer verbissener in Selbstüberschätzung und ungerichtetem Tatendrang verliert, schafft es Sivan, die Autorin, selbstironische Sympathieträgerin zu werden. Eine gekränkte Autorin ist leichter verträglich als ein gekränkter Staat, vor allem aber ist Selbstironie ein Mittel, dass Personen verzeihen hilft, nicht aber Personifizierungen. Das Identitätschaos entzieht der Zuschauerin den Boden aller mutmaßlichen Einschreibungen, die sie in den Namen Sivan Ben Yishai projizieren könnte, indem es sie vorwegnimmt.

Nun hat es eine besondere Brisanz, als Repräsentantin für den Staat Israel vor Gericht zu ziehen. Dieser Brisanz, der Verwundbarkeit und Widersprüchlichkeit stellt sie sich offenherzig. So leicht von der Hand geht diese kritische Haltung der Protagonistin nicht. Sie wirft Fragen nach dem Verrat an den Eltern auf, nach eigenem Kalkül und Traumata.

Ein weiterer treuer Weggefährte des Abends ist der deutsche Schäferhund, der sich an die Protagonistin hängt, bzw. an ihr festbeißt und damit einer ungesunden Ko-Abhängigkeit Bahn bricht. Treu und gefährlich, je nachdem, an wessen Seite er steht. Neben der Eltern-Kind-Beziehung, gespielt in beiden elterlichen Rollen von Ben Yishai selbst via Videoprojektion, wird hier eine tragisch-toxische On-Off-Beziehung thematisiert, von der man Freund*innen abraten würde.

Subjektive Geschichtsstunde

Zurecht konzentriert sich auch die Inszenierung auf den Text, der alles in sich trägt und seinen eigenen Weg geht. Dabei ist er so dicht und bildreich, dass nicht nur die Erfassung aller Einzelheiten geradezu intendiert auf der Strecke bleiben muss. Es erinnert an ihre ursprüngliche Komplexität und ihr gleichzeitiges Vergessen. Geschichtsblöcke werden angehoben und verschüttet. Ist das der neutrale Blick auf die Geschichte? Man weiß es schon nicht mehr. In mehrschichtiger Übersetzungsarbeit muss das eigene Wissen um die historischen Anlehnungen mit dem symbolbehafteten Erzählgerüst abgeglichen werden. Nicht zuletzt durch den fließenden, unvorhergesehenen Moduswechsel wird die Geschichte zum Rausch. Dabei wird es zur Aufgabe des sehr viel weniger souveränen Publikums, flexibel und wachsam zu bleiben, und schnell die jeweilige Folie über das szenisch reduzierte Geschehen auf der Bühne stülpen. Nicht nur einmal wird es in die Ecke gedrängt durch offenkundig fehlende oder in den Mund gelegte Antworten, sobald das Ensemble vorgibt, sich an das Publikum zu richten.

Durch den Chor des Ensembles wird der Text am stärksten in seiner rhythmischen Form gehalten, an anderen Stellen fällt er durch die Vereinzelung der Stimmen auseinander. Es ist ein Text für Nachdruck. Die Sprache ist knapp und assoziativ, dann wieder massiv und dicht. Beschreibt brutale Szenen in einem spielerischen Ton. Und so unbemerkt, wie Sivan zu Israel wird, werden Spielzeugwaffen zu echter Gewalt.

Das Statement der unrechtmäßigen Landnahme zieht sich für eine deutsche Position ungewohnt unverfroren durch das Stück. Das mag daran liegen, dass es sich nicht nur um eine deutsche, sondern auch und vor allem um eine jüdisch-israelische Position handelt und sie somit keinem Legitimationszwang unterliegt. (Es stellt sich heraus, der Legitimationszwang existiert auf anderen Ebenen.)

Doch auch die Inszenierung von Marie Bues zeichnet das Bild eines Staates, der verbissen das in den Kopf Gesetzte verfolgt, vergessen (oder vorausgesetzt?) ist bloß der Grund. Eindeutiger als die Textfassung zeigt die Inszenierung Sivans Entwicklung und Verhärtung. Aus der Siedlungspolitik, als Bild verwendet Bues einen Koffer mit moosgrünem Inhalt, erwächst fast unmerklich etwas anderes, das Bühnenbild färbt sich in die Farben der palästinensischen Flagge, das Grün der Siedlungspolitik in seiner Mitte: Eine bildgewordene hashtag-Solidaritätsbekundung? Als Zuschauerin möchte man dem Drang nach einer vermeintlich leichten Antwort folgen, der Autorin blind vertrauen, aber auch hier sitzt die eigene Perspektive und Schuld im Nacken und mahnt zu Skepsis, auch wenn nicht zuletzt die aktuellen Geschehnisse eine ausgewogene Mehrdimensionalität zynisch erschweren. Auch wenn das Stück eine Haltung einnimmt: Sie drängt sich nicht auf. Die Komplexität wird vermittelt, statt sie aufzulösen.

Eingestimmt, sich den Namen Sivan Ben Yishai zu merken, verlässt man den Saal. Die richtige Aussprache sollte nun sitzen.