29. Mai 2021 •
KLACK KLACK BÄM. KLACK BÄM BÄM. Entschiedene Schritte auf dem Boden, den sie sich immer wieder aneignen müssen. Drei Personen schreien es dem Publikum entgegen: Wir sind hier. Wir sind geil. Wir sind Teil eurer Gesellschaft. Das Wir wird durch die Schauspieler:innen Clara Liepsch, Til Schindler, Tamara Semzov verkörpert. Sie treten erst als Sprechchor mit identischen kahlköpfigen Masken (Kostüme: Henriette Müller) auf, später dann ohne ihre Masken, aber dennoch als Einheit. Ewe Benbeneks Perspektive holt die Gefühle der zweiten und dritten Einwanderungsgeneration hervor und schmeißt sie uns vor die Füße: Hört zu. Denn den Eltern hat keiner zugehört, da ihr Deutsch „zu gebrochen“ klang. Und „wenn sie [deine Worte] das nicht erklären können, / dann ist es nicht da“, heißt es in Benbeneks berührend-ehrlichem Text.
Das Ringen um die eigene Identität wird in Florian Fischers Uraufführung am Schauspielhaus Wien durch das Auf- und Abziehen der Gummimasken symbolisiert. Alle tragen dieselbe Maske, alle sind das Migrantenkind. Das Kind, dessen Eltern hart gearbeitet haben, jeden Montag 6 Uhr auf „Schaffe-Schaffe-Schicht“. Aber jetzt: Gute Noten, Abi, toller Job? Benbenek hinterfragt das Aufsteigernarrativ und lässt die drei Personen, A, B und C, ihre Geschichte erzählen. Neue Narrative. Und endet dabei in einem nie enden wollenden Loop of Selbstreflexion: „Haben wir uns da jetzt selbst reingepresst, in das Migranten-Narrativ gepresst?“ Die sich selbst kommentierende Stimme begleitet die drei Personen das gesamte Stück über.
Sprache bedeutet Macht
Um die eigene Geschichte neu erzählen zu können, braucht es Worte. Sprache ist Macht. Mit einschlagender Wucht zeigt uns dieses Stück die Tragik des Nicht-Erzählen-Könnens auf: Immer wieder wird der Text auf das Bühnenbild (Lili Anschütz) projiziert, die Schauspieler:innen warten. Während man liest, wird klar: Diese Zeilen könnten unausgesprochen bleiben. Wenn die Sprache fehlt, wird man nicht gehört. Der Schmerz dieser Erkenntnis spiegelt sich im Schuldbewusstsein, der Scham und Depression der „different generation“ wider. Denn die nachgewachsene Generation war nicht in Niedriglohnjobs, um sich dieses Leben zu finanzieren. Das waren ihre Eltern. Aber sie müssen diesen emotionalen Dissens, mit dem sie auf die Welt gekommen sind, zu ertragen versuchen.
Immer wieder werden Ebenen gebrochen, um die Unerzählbarkeit der Geschichte zu verdeutlichen: Die drei personifizieren ihre tröstlichen Gedanken und beginnen ein Gespräch mit ihnen. „[…] diese Zeilen fragen mich: Ist dir warum genug?“ In Fischers Inszenierung wird diese Textstelle zu einem in sanft-lila Licht (Oliver Mathias Kratochwill) getauchten Flirt mit der Hoffnung. Die Schauspieler:innen liegen sich in den Armen, spüren der Verzweiflung nach und sinnieren darüber, wie sie die mit Netflix-Serien zum Schweigen zwingen.
Aber die Stimmen werden im Verlauf des Stücks immer lauter und entfernen sich wieder vom vermeintlichen Opfernarrativ. Wird der Text zu Beginn noch über intime Voice-Over-Stimmen, mit und ohne polnischen Akzent, transportiert, entwickeln die drei Figuren zum Ende hin individuelle Stimmen und Haltungen. KLACK KLACK BÄM. KLACK BÄM BÄM. Und das mit feministischem Urknall und Befreiungsschlag: In einer starken zehnminütigen Sprechchorsequenz legen die Schauspieler:innen auf High Heels, in Lack und Leder, Goldketten und Lippenstift einen wütenden Walk of Empowerment hin, begleitet von massiven Bässen und Elektro-Beats. Glamour, baby, glamour. Gegen den Schmerz, für eure Pussys! Mit selbstbewusst-energetischer Scheiß-Egal-Haltung übertragen die Schauspieler:innen das Lebensgefühl der postmigrantischen Generation: Wenn wir nicht wissen, wohin wir gehören, schaffen wir uns eben unseren eigenen Raum! Die Kamera wird geschickt eingesetzt, um die drei Clubwalker:innen in Szene zu setzen und immer wieder nah an ihren Gesichtern zu sein, die völlig on fire sind und für die Befreiung des Wortes „Fotze“ kämpfen. Denn das „Ding zwischen euren Beinen“ (Til Schindler) muss benannt werden. Und Scham ist dafür sicherlich das falsche Wort.
Rauschhafte Zeilen
„Tragödienbastard“ ist nicht nur ein durchkomponierter Text mit einschlagender Wirkung, Fischer setzt ihn in seiner Inszenierung auch sensibel um: Zu Beginn mutet es nach einer Sprache-Bild-Installation an, in der polnische Sprachfetzen mit der altherkömmlichen Inneneinrichtung eines konservativen Haushalts verschmelzen. Die Schauspielenden arbeiten mit Bewegung: Sie zeichnen Ornamente des traditionellen Teppichs nach, während über überkommene Narrative gesprochen wird, sie spüren, berühren, streicheln oder zeichnen Linien in die Luft.
Diese düstere Atmosphäre der Ungewissheit wird durch den gewählten Einsatz medialer Mittel unterstützt: Die Ergebnisse des Google-Übersetzers erscheinen eine Ebene vor dem Bühnengeschehen auf dem Bildschirm, sodass jede:r auch dem fremdsprachigen Text folgen kann. Das Stück profitiert von der interdisziplinären Herangehensweise Fischers. Außerdem stellt der gezielte Einsatz der Musik (Rosa Anschütz) das sprachliche Erlebnis nicht in den Schatten. Es wirkt nicht überladen, sondern begleitet durch elektronisch-wabernde Hintergrundsounds den rauschhaften Text. Den Text Benbeneks, der Narrative schamlos offenlegt, Stereotype enttarnt, Gefühle anbietet. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass postmigrantische Stimmen auch erzählen wollen. Oder wie es im Stück heißt: „Warum müssen wir diese verfickte Scheiße erzählen?“