Abgang ohne Abgesang


Kritik

Plötzlich ist es da. Das Ende. Ein Abgang ohne Abgesang. Gerade noch schwelgte sie in Kindheitserinnerungen. Da war dieser Track in ihrem Kopf, der ihr zum Mantra für die Hoffnung auf ein besseres Leben und erfüllender Liebe geworden war. Doch es blieb bis zum Schluss ein uneingelöstes Versprechen. Welch bittere Bilanz der eigenen Existenz! Stattdessen wuchs mit den Jahren die Angst vor dem eigenen Tod, der eigenen Unsichtbarkeit und dem Vergessenwerden. Wenigstens ein großes Feuerwerk sollte es zum Abschluss geben, wenn das Leben schon nicht so mitspielen wollte, wie sie sich das stets gewünscht hatte. Doch es ist bloß eine Standuhr, die zur vollen Todes-Stunde schlägt und ihr Schicksal besiegelt. Und was bleibt? Nichts als eine endlose Traurigkeit und das ewige Fiepsen der Maschinen. Und die Welt? Die dreht sich einfach weiter.

Es ist ein schmerzhaftes, wehmütig stimmendes, beinahe melancholisches Ende, das der namenlosen Protagonistin in Sibylle Bergs Stück „Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden“ zuteilwird. Mit ihrem Tod findet nicht nur dieser Abend einen Abschluss, sondern auch die vierteilige Saga, die die Autorin für das Berliner Maxim Gorki Theater geschrieben hat. Inszeniert wurden die Stücke dabei stets von Hausregisseur Sebastian Nübling. Die kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Theater, Autorin und Regisseur wurde auch überregional gewürdigt: Mit „Und dann kam Mirna“, dem zweiten Teil der Reihe, war Sibylle Berg 2016 für den Mülheimer Dramatikpreis nominiert. In diesem Jahr folgte die Nominierung aus Mülheim für ihr letztes Stück der Saga. Im Rahmen des Stücke-Festivals war die Inszenierung nun digital zu erleben und elektrisierte auch am heimischen Bildschirm – nicht zuletzt Dank des stark aufspielenden Ensembles.

Schwanz ab!

Auf vier Schauspielerinnen schultert der Regisseur den Text, der für eine oder mehrere Frauen geschrieben wurde. Sie alle sehen dabei gleich aus: langes braunes Haar, Brille, Bademantel, darunter Kleid und Strumpfhose mit Leomuster und weiße Turnschuhe. Gesprochen wird zunächst im mehrstimmigen Frauenchor, ehe sich nach und nach Individuen herausbilden. Sie bekommen Eigenheiten und Konturen, eine eigene Stimme und lassen aus der Mehrstimmigkeit auch immer wieder eine Mehrsprachigkeit werden. Das Schicksal einer Einzelnen wird so aufaddiert zum Schicksal einer ganzen Generation. Dabei stehen sie – jede für sich – an einem eigenen fahrbaren Pult, an dem sie mit Laptop, Keyboard oder Synthesizer ihren eigenen Soundtrack kreieren. Weltuntergangsstimmung in einer Katakomben-Disko und die DJanes legen Electro auf. Abrissparty mal anders gedacht: „Schwanz ab!“, grölt es aus den Lautsprecherboxen. Dazu tanzende LED-Leuchtstäbe. Männer bleiben heute (leider) draußen!

Es ist der typische Sibylle-Berg-Sound, der dem Text zugrunde liegt: sarkastisch, bitterböse, komisch und stets eine laute Anklage gegen das Gesellschaftssystem. Doch an diesem Abend drängt sich immer wieder auch ein deutlich melancholischerer, beinahe resignierender Ton auf („Sei froh über deine schiefen Zähne, es wird dein Leben retten, heute komisch auszusehen für ein paar Idioten, die dich später nicht mehr interessieren werden. Und nun deck dich zu, hör ein Lied, denk an später. Es wird alles besser […]“). Hin und her geworfen zwischen den Sehnsüchten, der Kampfeslust und der Wut auf die Welt und einer sich einstellenden Erschöpfung, steht die Protagonistin am Abgrund und blickt ihrem Ende entgegen. Es hat sich ausgekämpft. Doch gab es jemals eine reelle Chance dieses ungleiche Duell zu gewinnen? Auf der einen Seite sie, eine einsame Frau des Mittelstands, gefangen in der Banalität ihres eigenen Daseins. Auf der anderen Seite die Welt, gemacht und geführt von Männern, geprägt von überbordendem Konsum, patriarchalen Machtstrukturen, unersättlichem Kapitalismus, Neoliberalismus und Sexismus. Ein Kräftemessen ungleicher Gewichtsklassen. Aber die Mittel, die Welt zu verändern, sind ja da gewesen: Doch die feministischen, marxistischen, queeren Bücher lagen nur dekorativ herum, „mit ihren Überschriften, über die wir nicht hinausgekommen sind, während wir lieber Serien geschaut haben“. Gescheitert ist eine ganze Generation. Nun liegt das Schicksal der Welt in den Händen der Post-Netflix-Generation. Fragt sich nur, wie groß der Glaube und wie stark der Wille (noch) sind, die Welt retten zu wollen. Oder haben wir längst aufgegeben?