25. Mai 2019 •
Dagobert Duck, Lucky Luke, Super Mario, Superman. Und eine, die aus der Reihe tanzt: die Freiheitsstatue. Wie vergessene, achtlos weggeworfene Spielzeugpuppen liegen sie zu Beginn verstreut auf der Bühne. Sie sind „Objekte, Schachfiguren. So wie alle anderen hier. In einem wesentlich größeren Spiel“. Nach und nach erwachen sie zum Leben, dazu spielt „In another dimension“ von The Prodigy. Andere Dimensionen, darum geht es in Sibylle Broll-Papes Bamberger Inszenierung von Küsperts Der Westen. Zahlreiche aneinandergereihte Szenen fügen sich zu einer Collage zusammen, zeichnen ein Bild der (westlichen) Welt, wie sie mal war, und zeigen mögliche Alternativen auf – ein „Was wäre wenn?“ unserer bekannten Welt. Paralleluniversen, in denen 2058 die Beulenpest zurückkehrt. In denen die Menschheit 1962 durch den Dritten Weltkrieg ausgelöscht wird. Oder durch einen Asteroiden im Jahr 2029.
Die Kulisse: ein Hügel aus rotem Stoff, darauf ein Kaktus (der auch mal zum Guckrohr eines russischen U-Boots wird), dahinter der Schriftzug „GO WEST“. Eine riesige Leinwand für Videoprojektionen. Und ein kleiner Fernseher. Die meiste Zeit befinden sich die Zuschauer:innen im All: Die Leinwand zeigt sternenübersäte Galaxien, die von der Freiheitsstatue, Dagobert Duck und den Anderen in Blasen und in Startrek-Anzügen, durchquert werden. So nimmt die Inszenierung mit auf eine Reise durch Raum und Zeit. Und so steckt die Regisseurin plötzlich Steve Jobs in die Schuhe von Christoph Kolumbus, der einen Pitch vor dem spanischen Königspaar hält. Mit dabei ein angebissener Apfel – Symbol für die neue Sicht der Erde als Kugel und für die Apple-Herrschaft über die westliche Gesellschaft.
„Es geht nur weiter, höher, oder geradeaus“
Die Erde als Apfel: Im Verlauf der Inszenierung wird dieser erst von innen verfaulen, dann mit einer Schere durchschnitten, wie auf der Videoproduktion im Hintergrund zu sehen ist. Im Vordergrund stehen Donald Trump und eine nordkoreanische Nachrichtensprecherin, Verkörperung von West und Ost, die sich ein verwirrendes Wortgeflecht liefern. Auditiv überfordert fühlen sich die Zuschauer:innen auch, als nicht weniger als zwölf Nachrichtensprecher:innen auf der Leinwand durcheinander über denselben Asteroiden berichten – ein Pendant zur heutigen Nachrichtenflut und Darstellung der Kultur des Ständig-Unterhalten-Werdens.
Wesentliches, an vielen Stellen komisches Element der Inszenierung sind die Auftritte der Comic- und Videospielhelden aus der Popkultur: Lucky Luke, Dagobert Duck und Super Mario. In ihren Auftritten nehmen sie jeweils ihre Maske (grandios gestaltet von Renate Gärtner) ab. Diese Demaskierung wirkt wie ein seelisches Blankziehen, das gewissermaßen die Schizophrenie der Charaktere entlarvt.
Super Mario stellt sich bescheiden als „Mario, einfach nur Mario“ vor und bemerkt bei der Hinterfragung seiner eigenen Tätigkeit traurig: „Ich glaube, ich mache es, weil es von mir erwartet wird. […] Es geht nur weiter, höher, oder geradeaus“. Er hält mit dieser Aussage der Gesellschaft den Spiegel vor, hier mag sich so manche:r Zuschauer:in im Karriere-Hamsterrad wiedererkennen. Dagobert Duck als Symbol des Kapitalismus duzt Donald Trump freundschaftlich. Er gibt zu, dass ein Sprung in ein Becken voller Goldmünzen einem Sprung auf eine „solide Metallplatte“ gleichkäme, und überhaupt: „Harte Arbeit ist eine Lüge“. „Lucky“ Luke, dessen Zwiegespräche mit seiner Maske an Hamlets berühmtes Gespräch mit einem Schädel erinnern, ist depressiv, ein „poor lonesome cowboy“. Einziger Trost: Er schießt noch immer schneller als sein Schatten (dargestellt durch eine in Schwarz gekleidete Person), doch selbst dieser wendet sich genervt von ihm ab.
Angefressene, madige Freiheit
Das Motiv des Schädels wird in der Inszenierung an mehreren Stellen aufgegriffen: Xi Jinping zum Beispiel hält mit einer Marx-Büste eine Ansprache, in der er die europäischen Staaten als Protektorate Chinas anspricht. Und der abgetrennte Superman-Kopf thront am Arm der Kaktee, während zuvor gezeigte Szenen zur Musik des Science-Fiktion Films Interstellar als Collage auf der Leinwand gezeigt werden: die westliche Welt im Untergang.
Küsperts Stück ist ein thematischer Rundumschlag, der in seiner Inszenierung durch starke visuelle Eindrücke, laute Musik und Soundeffekte sowie unzählige Querverweise manchmal erschlägt. Die große Stärke des Stückes ist, dass die collagenartige Anordnung der Szenen keine Hauptcharaktere braucht. Am Ende der Inszenierung nehmen überraschenderweise nur fünf Darstellende den Applaus entgegen, der über 30 Charakteren gilt. Regisseurin Broll-Pape gelingt es, den Osten und insbesondere den Westen als gegensätzliche Wertegemeinschaften von allen Seiten zu hinterfragen und bloßzustellen. Der Tod, das „Nicht-Sein“, das hier aussieht wie ein überarbeiteter Hausmeister, fasst zusammen: „Aber nie verstehe ich die Menschen des Westens und ihr sinnloses Streben. […] Wenn ich da bin, seid ihr nicht mehr. Die Frage ist nur: Was macht ihr vorher?“
Und wieder der Apfel. Ein doppeltes Bild für den Apple-Konzern und den verfaulenden amerikanischen Traum. Eine angefressene, madige Freiheit, die Ekel erregt vor dem Spiegelbild, das die Zuschauer:innen in seinem:ihrem eigenen sinnlosen Streben nach Glück nun sehen muss.